Die aktuelle Polemik um den Einkommensmillionär Friedrich Merz zeigt, wie wichtig es ist, dass wir uns grundsätzlich mit der Frage auseinandersetzen sollten, was eigentlich unser Leitbild einer gerechten Gesellschaft ist. Die meisten Menschen in Deutschland sprechen sich für Leistungsgerechtigkeit und Bedarfsgerechtigkeit aus. Einfach übersetzt heißt das, dass diejenigen, die viel leisten, auch viel verdienen sollten, und diejenigen, die krank oder bedürftig sind, wenigstens das sozio-kulturelle Existenzminimum erhalten sollten. Trotz diesem weitgehenden Konsens haben sehr viele Menschen in Deutschland ein Störgefühl damit, dass angestellte Manager oder Aufsichtsräte in der Finanzindustrie mehr als das Hundertfache einer normalen Arbeitnehmerin verdienen. Leisten sie wirklich so viel mehr als eine Krankenschwester?

Es ist natürlich lobenswert, dass Herr Merz inzwischen die Größenordnung seiner Einkünfte angedeutet hat. Manche finden es bemerkenswert, dass er auf solch hohes Einkommen verzichtet, um CDU Vorsitzender zu werden.  Ob es wirklich ein großes Opfer ist, kurzfristig zu verzichten, um so eine durchaus realistische Chance zu haben, deutscher Bundeskanzler zu werden, halte ich für fraglich. Erstens ist das Amt des Bundeskanzlers nicht so gering vergütet, dass man davon nicht sehr komfortabel leben könnte. Und zweitens gibt es wohl kein Amt in Deutschland, das derartig einflussreich wäre. Und Menschen sind nun einmal nicht nur durch Geld, sondern auch durch Macht zu motivieren. Und sollte er mit seinem Versuch Bundeskanzler zu werden scheitern, wird er einen neuen ähnlich gut vergüteten Job finden.

Bedauerlich ist, dass Herr Merz keine Wertung darüber abzugeben scheint, ob er seine hohen Einkünfte für angemessen hält und ob daraus irgendwelche politischen Schlussfolgerungen zu ziehen sind. Könnte es zum Beispiel sein, dass große Finanzkonzerne wie die HSBC Bank auch deswegen so profitabel sind und so hohe Gehälter zahlen, weil sie von einer staatlichen too big to fail Subvention profitieren? Oder weil sie – gar noch schlimmer – den Staat brutal mit CumEx Geschäften hintergangen haben? Herr Merz hat leider immer noch nicht auf die Fragen der Bürgerbewegung Finanzwende zu seinen Aufklärungsbemühungen als Aufsichtsrat bei HSBC und Blackrock geantwortet. Er sagt auch nicht, ob er und seine Kollegen nur deswegen so hart arbeiten, weil sie damit Millionen verdienen. Er macht sich keine Gedanken darüber, ob es vielleicht stark vom Zufall abhängt, dass er so viel Geld verdient und andere Menschen, die ähnlich intelligent und leistungsbereit sind, so viel weniger. Und ob man deswegen nicht im Sinne eines liberalen Egalitarismus à la John Rawls eigentlich die Steuern für derart hohe Einkommen sinnvollerweise anheben sollte.

Auch seine Äußerung, dass er sich als gehobene Mittelschicht empfinde, weil er nicht zu denen gehöre, die viel geerbt hätten und damit ihr Leben genießen, steht seltsam im luftleeren Raum. Einerseits ist gehört man als Einkommensmillionär zu dem reichsten 0,1% in Deutschland und nicht zur oberen Mittelschicht. Laut Steuerstatistik gibt es lediglich 18.999 Einkommensmillionäre in Deutschland. Andererseits müsste Herr Merz doch eigentlich auch seinen Gedanken zu Ende denken und etwas zur Gerechtigkeitsfrage in Bezug auf sehr hohe Erbschaften sagen. Irgendwie scheint er ja ein Störgefühl dabei zu haben, dass manche Menschen so viel Geld erben, dass sie nicht mehr arbeiten müssen. Aber warum sagt er dann nicht, dass ausgerechnet richtig große Erbschaften in Deutschland von der Erbschaftsteuer ausgenommen sind? Dass auch Erben von Familienunternehmen die Steuer zahlen könnten, ohne ihre Unternehmen dadurch zu gefährden, erwähnt er auch nicht.

Einfach nur populistisch Einkommensmillionäre zu verdammen, ist aber auch nicht vernünftig. Wir wollen in einer Gesellschaft leben, in der dynamische Unternehmer mit richtig guten Geschäftsideen richtig reich werden können. Wir sollten sowohl – so wie zum Beispiel Marcel Fratzscher – nachdenken, was wir tun können, damit Krankenschwestern und andere Leistungsträger unserer Gesellschaft endlich besser honoriert werden. Wir müssen uns aber auch überlegen, ob Menschen mit so hohen Einkommen wie Friedrich Merz wirklich so viel verdienen müssen, damit sie ihre Talente voll zur Geltung bringen.

Warum das aus meiner Sicht nicht notwendig ist, habe ich hier in meinem Blogbeitrag zum liberalen Egalitarismus von John Rawls ausführlich begründet: monetäre Anreize sind sinnvoll, wenn sie dazu führen, dass Menschen in ihre Talente investieren und diese voll zur Entfaltung bringen. Diese Anreize müssen aber bei weitem nicht so hoch sein wie heute, sprich die Steuern auf sehr hohe Einkommen (Profifussballer, Top-Manager, etc.) können deutlich angehoben werden.


 

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