Die Zahl der Millionäre in Bayern sei um 20% gestiegen, berichtete die Süddeutsche Zeitung diese Woche. Was verbirgt sich hinter dieser Zahl? Explodiert gerade bundesweit die Zahl der Einkommensmillionäre, während die Einkommen der Durchschnittsverdiener stagnieren?

Ein Blick in die Zahlen des statistischen Bundesamts zeigt tatsächlich, dass dass gewaltige Wachstum der Millionäre in Bayern nicht an der Attraktivität des Starnberger Sees oder der laxen Steuerkontrollen des bayerischen Finanzministers Söder liegt, sondern dass in ganz Deutschland die Zahl der Millionäre um knapp 19% angestiegen ist.

Auch die Entwicklung des Gini-Koeffizienten, das international üblichste Maß zur Messung der Ungleichheit, ist höchst besorgniserregend: Der Gini-Koeffizient für die in der Steuerstatistik erfassten Einkünfte (“Gesamtbetrag der Einkünfte”) ist zwischen 2010 und 2013 von 0,46 auf 0,53 gestiegen.

Alle drei Jahre veröffentlicht das Statistische Bundesamt eine detaillierte Steuerstatistik. Zwar kommen die Zahlen nur mit einem gewaltigen Zeitverzug (die jüngst erschienen statistischen Daten zeigen das Jahr 2013), dafür sind sie aber eine wahre Goldgrube für Daten über die Einkommensverteilung in Deutschland. Es muss doch möglich sein, aus diesen Zahlen zu zeigen, ob die besorgniserregenden Zahlen von 2013 nur ein Ausreißer sind oder einen Trend aufzeigen. Schließlich zeigen doch die eigene Erfahrung genauso wie die Geschäftsberichte der großen Konzerne in Deutschland, dass die Gehälter für Top-Manager in Deutschland komplett abgehoben sind.

Entwicklung Vorstandsgehälter

Leider erweist sich jedoch die Analyse der Steuerstatistik als weder einfach noch eindeutig: so leicht lässt sich kein Trend ableiten.

Die erste Überraschung ist die enorme Zyklizität der hohen Einkommen in Deutschland. Die nächste Überraschung ist die mangelnde Vergleichbarkeit.

in nominalen Euro

Die Anzahl der Euromillionäre gibt es in der Statistik leider erst ab 1998. Frühere Daten gibt es nur in Deutscher Mark. Außerdem sind die Daten nicht inflationsbereinigt. Ein Euro im Jahr 2013 entspricht aber nur gut 79 Cents im Jahr 1998. Im Jahr 1998 gab es 13.690 Euro-Einkommensmillionäre. Angesichts des Preisverfalls war es 2013 aber viel leichter eine Million zu verdienen als 1998. Das Statistische Bundesamt sagt aber nicht, wieviele Menschen im Jahr 1998 mehr als 794.701,99 Euro verdient haben. Der nächste Einkommensschritt in der Statistik ist 500.000 Euro. Wenn man Pi mal Daumen die Zahlen interpoliert und einen Teil der Menschen, die 1998 zwischen 500.000 und 1 Million Euro verdienten hinzurechnet, spricht viel dafür, dass es 1998 mehr Millionäre als heute gegeben hat. (1)

Gibt es also gar keine dramatische Steigerung der Top Einkommen in Deutschland? Verdienen nur die wenigen Dax Vorstände deutlich mehr als früher? Auch der Blick in die World Income Data Base der Forscher um Piketty zeigt zunächst, dass Deutschland keineswegs eine genauso dramatische Entwicklung genommen hat wie die USA:

Piketty Daten

Während in den USA der Anteil des reichsten Prozent der Bevölkerung an den Gesamteinkommen zwischen 1980 und 2007 von gut 9 auf knapp 23% gestiegen ist, sieht man in Deutschland lediglich einen Anstieg von knapp 11 auf 14%.

Kann das sein? Widerspricht es nicht jeder eigenen Lebenserfahrung? Beim genaueren Blick sieht man, dass die Daten aus der Steuerstatistik tatsächlich noch gravierendere Probleme haben als nur die fehlende Inflationsbereinigung, und daher der erste Anschein falsch sein könnte. Da ist zunächst die fehlende Vergleichbarkeit der Basis: die Struktur der Steuerzahler hat sich aufgrund von Wiedervereinigung und Einbeziehung von Geringverdienern drastisch geändert. (2)

Noch problematischer sind die Änderungen in der Steuergesetzgebung. Durch die Steuerreformen der letzten Jahre, insbesondere die Einführung der Abgeltungssteuer, muss ein großer Teil der Kapitaleinkünfte nicht mehr versteuert werden und erscheint daher nicht mehr in der Steuerstatistik. Die reichsten Steuerpflichtigen beziehen aber einen viel größeren Anteil ihrer Einkünfte aus Vermögen als der Durchschnitt. Man muss also die Kapitaleinkünfte wieder hinzurechnen.

Ich habe versucht, diese beiden Probleme zu korrigieren, indem ich einerseits die Kapitaleinkünfte geschätzt und hinzugerechnet habe (3) und andererseits die Einkommensentwicklung der “Oberen Zehntausend” in Deutschland betrachtet habe, um die strukturelle Veränderung der Steuerpflichtigen auszublenden. (4)

Top Einkommen

Um die Einkommensentwicklung dieser beiden Gruppen vergleichbar zu machen habe ich beide Einkommen im Basisjahr 1983 auf 100 gesetzt, so sieht man die prozentuale Steigerung seit 1983. Man sieht, dass die Einkommen der “Oberen Zehntausend” extrem zyklisch sind. Gleichzeitig sieht man aber auch einen deutlichen Trend: Die Einkommen der “Oberen Zehntausend” steigen deutlich schneller als die Durchschnittseinkommen in Deutschland und verdoppeln sich, während die Durchschnittseinkommen im selben Zeitraum nur um 35% ansteigen.

Insbesondere seit 2007 scheint es ein Problem zu geben: während normalerweise nach einem zyklischen Höhepunkt die Einkünfte der “oberen Zehntausend” wieder extrem einbrechen und fast auf die Linie der Gesamtbevölkerung zurückfallen, scheint dies derzeit nicht der Fall zu sein. Hätte sich das typische zyklische Muster fortgesetzt, wäre die rote Kurve im Jahr 2013 noch einmal deutlich abgefallen. Es sieht also momentan so aus, als ob die Einkommen des reichsten Promille der Steuerpflichtigen in Deutschland tatsächlich deutlich abgehoben hätten. Ich bin schon gespannt auf die nächste Steuerstatistik in drei Jahren.

 


(1) Im Jahr 1980 gab es nur 21,5 Millionen Steuerzahler in Deutschland. Durch die Wiedervereinigung sind 6 Millionen Steuerzahler dazu gekommen und auch zwischen 2001 und 2007 gab es ein beachtliches Wachstum der steuerpflichtigen Einkommensbezieher um 10 Millionen auf inzwischen 38,4 Steuerpflichtige. Dieser Anstieg ist ebenfalls hauptsächlich durch Menschen mit niedrigen Einkommen getrieben. Zwischen 1980 und 2007 ist die Zahl der Steuerpflichtigen durch das Einbeziehen vom Menschen mit mit niedrigen Einkommen also um knapp 80% gestiegen. Dadurch wird die Betrachtung nach Perzentilen verzerrt.

(2) es gab 1998 21.775 Steuerpflichtige, die zwischen 500.000 und 1 Million Euro verdient haben. Die Verteilung ist sicher nicht linear, aber einige Tausende aus dieser Gruppe werden wohl über 794.701,99 Euro verdient haben.

(3) Die Steuerstatistik unterscheidet die verschiedenen Einkommensarten. In den Jahren, in denen aufgrund veränderter Steuergesetze Kapitaleinkünfte nicht mehr im gleichen Umfang angegeben werden müssen, sieht man deutlich, wie die Kapitaleinkünfte in der Statistik in den relevanten Jahren einbrechen. Um abzuschätzen, welcher Teil des Rückgangs der Kapitaleinkünfte zyklischer Natur ist und welcher durch die veränderten Steuergesetze verursacht wird, habe ich unterstellt, dass Kapitaleinkünfte ähnlich zyklisch wie Gewerbeeinkünfte sind. 2004 brechen die Kapitaleinkünfte der Top 38.366 um 70% ein, während die Einkünfte aus Gewerbebetrieb stabil bleiben. Die Kapitaleinkünfte aller Einkommensgruppen sind um 50% eingebrochen. Ich habe die Kapitaleinkünfte der Top 38.366 in der Steuerstatistik für 2004 verdoppelt. 2007 (keine Änderung der Steuergesetze) verdoppeln sich sowohl die Kapitaleinkünfte der Steuerpflichtigen wie auch die Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Ich habe daher den von mir 2004 imputierten Wert für 2007 verdoppelt.  Im Jahr 2010 (Steueränderung) brechen die Kapitaleinkünfte der Top 38.366 um 90% ein, während die Einkünfte aus Gewerbebetrieb nur um 10% zurückgehen. Ich habe daher die von mir imputierten Kapitaleinkünfte aus 2007 ebenfalls um 10% sinken lassen. Vgl. auch Bartels und Jenderny.

(4) Das reichste Promille der Steuerzahler im Jahr 2007 sind 38.336 Steuerpflichtige. Ich habe in den Jahren zwischen 1983 und 2013 die Einkommen der reichsten 38.336 (die “Oberen Zehntausend”) analysiert. Da ich keinen Zugang auf die Rohdaten der Steuerstatistik habe und daher keinen genauen Schnitt bei 38.336 Steuerpflichtigen machen konnte, musste ich interpolieren. Ich habe stark vereinfacht und angenommen, dass die Einkommen linear ansteigen. Wenn die Steuerstatistik also z.B. 10.000 Steuerpflichtige zwischen 500.000 und 1 Million Euro mit einem Gesamteinkommen von 8 Milliarden Euro anzeigte und ich 5.000 zusätzliche Steuerpflichtige brauchte, um auf 38.336 zu kommen, habe ich angenommen, dass die Hälfte dieser Gruppe auch die Hälfte des Einkommens auf sich vereint, also 4 Milliarden Euro. Das ist natürlich problematisch, weil die Einkommen nicht linear, sondern exponentiell ansteigen. Mangels mathematischer Fähigkeiten kann ich leider diese exponentielle Kurve nicht berechnen. Dadurch, dass der Fehler aber über die Jahre konstant durchgehalten wird, sollte die Aussage zur Einkommensentwicklung in dieser Periode trotzdem in der Tendenz richtig sein.


 

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