Die Süddeutsche lässt samstags oft profilierte Ökonomen ausführlich zu wichtigen Themen Stellung nehmen, so auch derzeit zur Rente. Am 1. Juli kam einer der bekanntesten Forscher, Professor Alex Börsch-Supan zu Wort. Er definiert zwei wichtige Mechanismen, die das zukünftige Rentenniveau bestimmen: demographische Entwicklung und Äquivalenzprinzip, sprich die Tatsache, dass die Rente strikt proportional zur Höhe der lebenslangen Einzahlungen ist. Während das Thema Demographie in aller Ausführlichkeit besprochen wird, bleibt Börsch-Supan kein Platz mehr in seinem Essay, um das mindestens genauso wichtige Äquivalenzprinzip kritisch zu reflektieren.

Die demographische Entwicklung ist inzwischen auch den meisten Menschen bewusst: die geburtenstarken Jahrgänge werden etwa in der Mitte der nächsten Dekade in Rente gehen und die nachfolgende Generation ist um etwa ein Drittel kleiner. Viele Menschen sehen jedoch nur die Alterspyramide mit der großen Auswölbung bei den geburtenstarken Jahrgängen. Dieses Bild verwirrt jedoch, weil man leicht auf den Gedanken kommt, dass wir es nur mit einem vorübergehenden Problem zu tun haben: wir müssten nur die Zeit überbrücken, während sich die geburtenstarken Jahrgänge in Rente befinden, danach würde alles wieder besser. Das ist ein Trugschluss.

Solange die Geburtenquote auf dem niedrigen Niveau von etwa 1,4 Kindern pro Frau verharrt, wird jede neue Generation immer nur etwa zwei Drittel so groß sein wie die vorhergehende. Der Altersquotient bleibt daher stabil auf dem hohen Niveau und das demographische Problem wird sich nicht auswachsen.

Die Schlussfolgerung von Professor Börsch-Supan, dass man deshalb nur das Rentenalter erhöhen könne, springt jedoch zu kurz. Es ist richtig, dass die zunehmende Lebenserwartung das Rentensystem sehr belastet. Letztlich bedeuten zwei zusätzliche Jahre Lebenserwartung einen Anstieg der Rentenbezugsdauer um 10%. Vereinfacht gesprochen heißt dies, dass 10% mehr Rentner versorgt werden müssen, und entweder die Beiträge um 10% steigen oder das Rentenniveau um 10% sinken muss. Wenn tatsächlich die Menschen weiterhin immer älter und im Alter immer gesünder werden, wird man auch aus Gerechtigkeitsgründen die Lebensarbeit erhöhen müssen. Das geht aber nur, wenn wirklich ausreichend Jobs zur Verfügung stehen, die auch von älteren Menschen geleistet werden können. Nicht nur die Arbeitswelt muss sich diesbezüglich verändern, wir brauchen auch viel mehr lebenslanges Lernen, um ein längeres Arbeitsleben zu ermöglichen. Der isolierte Ruf nach einem späteren Renteneintritt führt hingegen zu einer verkappten Rentenkürzung, weil heute zu viele Menschen nicht bis 67 arbeiten können.

Börsch-Supan erwähnt Zuwanderung als Alternative, um sie mit einem lapidaren Satz zu verwerfen: Es kommen sowieso nicht ausreichend Zuwanderer. Das ist eine seltsame Einstellung. Letztlich brauche wir so viele qualifizierte und gut in den Arbeitsmarkt integrierbare Zuwanderer, wie uns an Geburten fehlen. Also etwa ein Drittel einer jeden Kohorte, die in Rente geht, muss jedes Jahr zuwandern. Das sind in der Tat deutlich mehr Menschen als in den demographischen Prognosen des statistischen Bundesamtes angenommen. Es sind aber auch keine Millionen. Der geburtenstärkste Jahrgang umfasst 1,4 Millionen Menschen. Die nachfolgende Generation ist um ein Drittel, also 466 Tausend Menschen geringer. Wichtig ist, dass wir eine koordinierte Einwanderung zulassen und die eingewanderten Menschen gut in den Arbeitsmarkt integrieren. Warum soll es uns nicht möglich sein, im nächsten Jahrzehnt etwa eine halbe Million Zuwanderer aufzunehmen?

Außerdem gibt es auch noch andere Möglichkeiten, um das Verhältnis aus arbeitender Bevölkerung und Rentner zu verbessern: wir können zum Beispiel Frauen besser in die Berufswelt integrieren und sie vor allem auch besser bezahlen. Und wir können Menschen mit prekären und schlecht bezahlten Jobs helfen, bessere Jobs zu finden. Was wir vermeiden sollten, ist die Beitragssätze zu erhöhen. Das ist nämlich pseudosozial, wie ich hier ausgeführt habe.

Das zweite wichtige Thema – Äquivalenzprinzip – verkürzt Professor Börsch-Supan leider auf den Bezug von Grundsicherung. Das springt eindeutig zu kurz. Bereits heute bekommen 25% der Menschen, die neu in Rente gehen, weniger als 800 Euro Rente, obwohl sie länger als 35 Jahre gearbeitet haben. Dazu mehr hier.

Das Rentensystem verliert massiv an Glaubwürdigkeit, wenn Menschen, die den größten Teil ihres Lebens arbeiten, im Alter weniger Rente erhalten als das Sozialhilfeniveau in Deutschland. Beim heutigen Rentenniveau muss man entweder länger als 45 Jahre lang Vollzeit arbeiten oder monatlich mehr als etwa 1.850 Euro verdienen, um im Alter mehr Rente als Grundsicherung zu erhalten. Es gibt aber sehr viele Menschen in Deutschland, die weniger als 1.850 Euro verdienen. Auch diese Menschen haben eine echte Rente verdient. Das geht nur, wenn entweder das Rentenniveau extrem angehoben würde, was völlig unrealistisch ist, weil dann auch die Beiträge extrem steigen müssten. Oder es geht, wenn wir das Äquivalenzprinzip etwas aufweichen und Menschen mit niedrigen Einkommen etwas mehr Rente ausbezahlen, als sie an Beiträgen einbezahlt haben. In fast allen Ländern der OECD ist dies völlig üblich. Deutschland ist hier eine unrühmliche Ausnahme. Die wichtigste Maßnahme für ein auch in Zukunft funktionierendes Rentensystem ist also eine leichte Aufweichung des Äquivalenzprinzips. Dazu mehr hier.

Professor Börsch-Supan fordert zu Recht, dass die Rentendebatte faktenbasiert geführt werden sollte. Leider wird er seinem eigenen Anspruch nicht gerecht. Es ist sehr schade, dass er das Äquivalenzprinzip nicht kritisch hinterfragt, obwohl er es in seiner Einleitung als eines seiner beiden wichtigen Themen definiert.

Wer sich nicht nur auf meine Analyse der Rente verlassen möchte, kann zum Beispiel die zehn Fakten zur Rente von Thomas Öchsner von der Süddeutschen Zeitung lesen.


 

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