Die Nachrichten zu Pensionskassen in Schieflage überschlagen sich. Im Frühjahr hatte die Versicherungsaufsicht BaFin bereits ein Drittel aller deutschen Pensionskassen in “Manndeckung” genommen. Inzwischen mussten mehrere dieser Pensionskassen die vertraglich zugesicherten Renten kürzen. Diese Woche hat die BaFin sogar erstmals einer Pensionskasse (Caritas) das Neugeschäft untersagt.
Seltsamerweise findet sich die Berichterstattung über diese Themen versteckt im Wirtschaftsteil. Wie groß wäre wohl der Aufschrei, wenn die BaFin ein Drittel aller Banken unter verschärfte Aufsicht genommen hätte und wenn sie einer Bank verboten hätten, weiteres Geschäft zu machen? Sind wir inzwischen schon so abgestumpft, was Krisenmeldungen zur Rente angeht? Oder können wir uns nicht vorstellen, dass unsere Betriebsrenten oder demnächst vielleicht auch unsere Riesterrenten gekürzt werden? Vielleicht denken wir alle, dass die Versichertenguthaben ähnlich gut geschützt wären wie Bankguthaben?
Weit gefehlt: Nur Bankguthaben sind in Europa bis 100.000 Euro staatlich geschützt. Dafür müssen Banken viel Geld in einen Einlagensicherungsfonds einzahlen, aus dem die Kunden entschädigt würden, sollte es jemals zu einer Pleite kommen. Damit das funktioniert, gibt es klare gesetzliche Regeln, was bei einer Bankenschieflage passiert. Dann haften nämlich zuerst die Eigentümer der Bank, dann die Fremdkapitalgeber, dann die Großkunden mit Einlagen über 100.000 Euro und erst wenn alle Stricke gerissen sind, wird die Einlagensicherung in Anspruch genommen.
Bei den Versicherungen gibt es zwar auch eine Art Einlagensicherungsfonds namens Protektor. Der ist aber so schwach auf der Brust, dass er zwar eine Pleite von wenigen kleinen Versicherern überleben würde. Vermutlich reicht das Geld auch noch für einen mittleren Versicherer. Aber definitiv nicht für eine größere Krise. Anstatt den Fonds durch eine Haftungskaskade wie bei der Bankenabwicklung zu schützen, denkt der Gesetzgeber zuerst an die Eigentümer der Versicherer: Wenn es zu einer Schieflage eines Versicherers kommt, sieht der relevante Paragraph 314 Versicherungsaufsichtsgesetz keinen bail-in der Eigentümer und des Fremdkapitals vor wie bei den Banken. Ganz im Gegenteil: dort steht, dass bei einer Schieflage die Leistungen der Kunden gekürzt werden dürfen. Und genau das passiert jetzt.
Bei der betrieblichen Altersvorsorge gab es zwar bis zur Reform durch Frau Nahles in diesem Jahr noch ein Sicherheitsnetz für die Betriebsrentner: die Arbeitgeber waren zum Nachschuss verpflichtet, wenn eine Pensionskasse in Schieflage gerät. Damit haben die Arbeitgeber das Risiko einer schlecht wirtschaftenden Pensionskasse übernommen. Für manche ist dies allerdings ein völlig umkalkulierbares Damoklesschwert. Was kann ein mittelständischer Arbeitgeber dazu, dass eine Pensionskasse pleite geht? Kein Wunder, dass die Wirtschaft massiven Druck auf die Regierung ausgeübt hat, damit sie aus der Haftung entlassen wird. Zumal dieses Sicherheitsnetz für die Rentner auch mehr als löchrig ist. Während man sich gut vorstellen kann, dass ein Großkonzern wie Siemens seine Betriebsrentner nicht im Regen stehen lassen würde, sieht das mit kleinen Unternehmen ganz anders aus. Solche Unternehmen werden auch nicht unbedingt Hundert Jahre alt wie Siemens. Und wenn es sie nicht mehr gibt, läuft der Anspruch der Rentner ins Leere. Und zu guter Letzt müsste man diesen Anspruch auch noch individuell einklagen.
Nur warum gibt es keinen Aufschrei? Was wäre denn, wenn die Banken plötzlich unsere Sparguthaben kürzen würden? Wie kann die Bundesregierung ernsthaft die Menschen dazu überreden, betrieblich und privat für ihr Alter vorzusorgen, ohne diese Gelder ähnlich rigoros zu schützen wie die Sparguthaben bei Banken? Mindestens sollten Kleinanleger geschützt werden und eine Haftungskaskade wie bei den Banken eingeführt werden. Und die Industrie sollte gezwungen werden, deutlich mehr Vorsorge für Krisen zu treffen. Dass Banken zu wenig Eigenkapital haben, weiß inzwischen jeder. Nur dass Versicherer mit noch viel weniger Eigenkapital als Banken wirtschaften (im Branchendurchschnitt etwa 1,5% in Bezug auf die Bilanzsumme), hat sich noch nicht herumgesprochen. Und auch Protektor sollte analog zu der Einlagensicherung bei Banken deutlich gestärkt werden.
Es ist Zeit für eine umfassende Rentenreform. Die gesetzliche Rente sollte deutlich gestärkt werden. Das wichtigste ist, dass Menschen mit niedrigen Löhnen eine realistische Chance erhalten, im Alter eine echte Rente anstatt von Sozialhilfe (“Grundsicherung im Alter”) zu beziehen. Dafür haben wir Grünen das Konzept einer Garantierente entwickelt, das ich hier ausführlich beschreibe. Und anstatt wie bei den Reform von Frau Nahles die betriebliche Altersvorsorge zu einem Freudenfest der Lebensversicherer zu machen, sollten wir uns Schweden als Vorbild nehmen und einen Bürgerfonds für die private und betriebliche Rente einführen. Mit einem solchen Fonds würden wir nicht mehr durch exorbitante Gebühren geschröpft, dank einer vernünftigen Anlagestrategie gäbe es auch vernünftige Renditen und das angesparte Vermögen würde wirklich uns Bürgerinnen und Bürgern gehören und nicht einem privaten Lebensversicherer, so dass es auch kein Ausfallrisiko gäbe. Mehr dazu von mir hier in aller Kürze bei der Bürgerbewegung Finanzwende, oder hier in einem Artikel von mir in der Süddeutschen Zeitung, oder hier ausführlich in Schaubildern: Vorbild Schweden
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Mit Verlaub, aber da sind Sie einem verbreiteten Irrtum aufgesessen. Wo steht denn, dass der Staat die 100.000 € selber garantiert?
Vgl. hier: https://www.focus.de/finanzen/banken/staat-garantiert-nicht-fuer-erspartes-der-100000-euro-irrtum_aid_762141.html
Der Staat verpflichtet die Banken lediglich per Gesetz eine entsprechende Sicherungseinrichtung aufzubauen; wie leistungsfähig diese ist, steht auf einem anderen Blatt. Gesichert sind auch keine vertraglichen Ansprüche auf künftige Zinsen aus langfristigen Sparverträgen; alle Verträge werden auf Basis des aktuellen Guthabens beendet.
Kein Versicherer darf die garantierten Leistungen der Kunden kürzen. Garantien sind zu 100 % zu bedienen. Das Sicherungsvermögen stellt sicher, dass die Guthaben (Rückkaufswerte) sämtlichst ausfinanziert sind. Im Sicherungsfall ist dieses Geld weiterhin da, sogar noch mehr, auch ein Teil der künftigen Zinsen (ZZR); es geht – wenn überhaupt – dann nur um darüber hinaus gehende künftige Zinsverpflichtungen, die bei Banken gar nicht abgesichert sind.
Protektor muss im hypothetischen Sicherungsfall nur ein relativ kleines Bilanzloch ausgleichen, nicht sämtliche Kundenansprüche aus eigenem Vermögen bezahlen. Nur wenn das nicht ausreicht, darf der Staat, nicht der Versicherer (!), den Anspruch um bis zu 5% kürzen, wie gesagt, letztlich Teile des künftigen Zinsanspruchs, es geht nicht um die bereits ausfinanzierten Guthaben.
Wo ist da die Bankeneinlagensicherung besser? Eine Bank kann tatsächlich wie Lehmann quasi über Nacht implodieren, so dass auf einmal nicht einmal 50 % der Verpflichtungen noch gedeckt sind (i.S.e. Gläubigerquote), da die Kunden anders als bei der Lebensversicherung keine bevorrechtigten Gläubiger sind. Das kostet die Sicherungseinrichtung sofort richtig viel Geld, deshalb muss sie qua Gesetz auch nur 100.000 € sichern.
Das sind alles Unterschiede, auf die einzugehen ich von Ihnen – als Finanzfachmann – eigentlich erwartet hätte.
Lieber Herr Philipp,
mit Verlaub, aber da ist einiges unzutreffend:
1. Leistungskürzungen bei regulierten Pensionskassen erfolgen auf der Basis von Sanierungsklauseln, die in der Satzung geregelt sind. Dafür durften höhere Garantien gegeben werden als von Lebensversicherern. Jede regulierte Pensionskasse hat derartige Klauseln, sonst wäre es keine (§ 233 Abs. 1, Nr. 1 VAG). Das Ganze hat also nichts mit § 314 VAG zu tun.
2. Die subsidiäre Arbeitgeberhaftung wurde durch das Betriebsrentenstärkungsgesetz überhaupt nicht geändert. Neu ist lediglich, dass Tarifpartner künftig (!) Versorgungswerke einrichten können mit reinen Beitragszusagen ohne Garantien. Wo nichts garantiert wird, kann auch keiner haften. Das hat nichts mit den genannten Pensionskassen und deren Zusagen zu tun.
3. Lebensversicherungen bilden analog zu Investmentfonds insolvenzgeschützte Sondervermögen (hier: Sicherungsvermögen), bei denen die Kunden anders als bei Banken die bevorrechtigten Gläubiger sind. Kombiniert mit den speziellen Anlageregeln ist bereits ein extrem hohes Maß an Sicherheit gegeben.
4. Bei Lebensversicherungen ist das Eigenkapital nicht der einzige Risikopuffer. Noch relevanter sind die Eigenmittel, die deutlich höher als nur das Eigenkapital ist, zudem Bewertungsreserven und Puffer aus vorsichtiger Kalkulation.
5. Der Sicherungsfonds der Versicherer schützt nicht nur das “Guthaben”, sondern auch künftige Zinsansprüche und Absicherungen. Die Leistungen sind zudem nicht auf 100.000 € limitiert, sondern unlimitiert, was gerade bei Todesfallabsicherungen oder BU-Renten von Bedeutung ist.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Peter Schwark, GDV
Lieber Herr Schwark,
vielen Dank für Ihren Kommentar! Punkt 1 und 2 habe ich in meinem Text ergänzt. Allerdings dürfte es für die Kunden unerheblich sein, ob ihre Ansprüche aufgrund von § 314 oder aufgrund § 233 VAG gekürzt werden.
Zu Punkt 3 haben Sie mich noch nicht überzeugt: wer in einen Investmentfonds investiert, weiß, dass der Wert schwanken kann. Für dieses höhere Risiko erhält er idR eine höhere Rendite. Wer Geld bei einer Bank aufs Sparbuch legt, erhält (derzeit) keine Rendite, dafür aber eine gesetzliche Garantie, dass 100T Euro selbst im Pleitefall der Bank absolut sicher sind und zusätzlich eine von der Bank ausgesprochene Garantie, dass auch darüber hinaus die Guthaben geschützt sind (je nach Bank sogar unbegrenzt). Bei der LV verzichtet er ebenfalls auf Rendite, weil er dafür eine Zinsgarantie (bzw. feste Rentenzusage) erhält. Ich kann mir nicht vorstellen, dass den Kunden bewusst ist, dass es sich lediglich um eine Schönwetter-Garantie handelt und dieser vertraglich vereinbarte Ansprüche einseitig gekürzt werden kann. Ich empfinde ein im Krisenfall kürzbares Garantieversprechens als irreführende Werbung und frage mich, wie vielen Kunden bewusst ist, dass ihre vertraglich zugesagten Leistungen gekürzt werden dürfen. Ich würde wetten, dass das fast niemand weiß. Wir können gerne zusammen eine repräsentative Umfrage durchführen. Wenn mehr als die Hälfte der Befragten tatsächlich weiß, dass die Garantie im Krisenfall nicht hält, zahle ich 100% der Kosten, wenn es weniger sind, müssten Sie die Kosten übernehmen.
Auch zu 4 bin ich noch nicht überzeugt: bei allen Unternehmen gibt es zusätzliche Risikopuffer. Auch Banken haben stille Reserven. Ich weiß, dass die Eigenmittel der LV deutlich höher sind als das Eigenkapital. Aber ich empfinde den Begriff “Eigenmittel” hier irreführend. Es handelt sich im Wesentlichen um sogenannte Rückstellungen für Beitragsrückerstattung (RfB). Das sind Mittel, die eigentlich den Kunden gehören, die aber trotzdem dem Unternehmen als Sicherheitspuffer dienen. Der ursprüngliche Zweck der RfB war es, der LV zu ermöglichen die Erträge zu glätten. Wenn diese nun aber als Eigenkapitalersatz dienen müssen, können sie nicht mehr die Erträge in einer Niedrigzinsphase stabilisieren. Aus meiner Sicht sollten die Unternehmen daher nicht mit lediglich 1,5% echtem Eigenkapital wirtschaften. Das von den Eigentümern der LV zur Verfügung gestellte EK sollte ausreichen, um die regulatorischen Anforderungen zu erfüllen. Dann kann die RfB wieder ihrem ursprünglichen Zweck zugeführt werden.
Zu 5 habe ich oben bereits ausgeführt, dass auch viele Banken unlimitierte Ansprüche absichern. Was dieses Versprechen wert ist, ist eine andere Frage. Aber immerhin gibt es den staatlich auf jeden Fall garantierten Sockel von 100T Euro, den es bei der LV nicht gibt.
Mich würde interessieren, über welche Dimensionen wir überhaupt sprechen. Wenn es zu Leistungskürzungen bei der betrieblichen Altersvorsorge kommt, was ist dann der worst case? Werden die Leistungen nur um wenige Prozentpunkte gekürzt oder kann es zu wirklich spürbaren Kürzungen kommen? Wenn der Staat einen erheblichen Teil der Altersvorsorge seiner Bürger in die Hände von Lebensversicherern legt, dann sollten die Spielregeln auch wirklich klar sein. Dann sollten die Bürger entweder eine wirklich harte Garantie erhalten, die unter keinen Umständen gekürzt werden kann oder sie sollten ihr Geld so investieren, dass sie voll von der Rendite der Kapitalmärkte profitieren.
Mit besten Grüßen
Udo Philipp