Brauchen wir safe assets in der Eurozone? Was für eine Frage – natürlich brauchen wir sichere Wertpapiere, dafür haben wir doch schließlich vor Urzeiten Geld erfunden! Und um Geld sicher zu verwahren, gibt es doch Tresore und Banken? Und weil Banken gelegentlich pleite gehen, hat man da nicht die Einlagensicherung erfunden, damit man sich keine Sorgen machen muss? Die gilt aber für Beträge bis zu 100.000 Euro. Wer größere Beträge sicher aufbewahren möchte, wünscht sich sehr wohl safe assets. Die meisten Unternehmen sind schließlich genauso wie gemeinnützige Organisationen oder Einrichtungen der öffentlichen Hand damit überfordert, ihre Bank auf Herz und Nieren zu überprüfen und zu beurteilen, ob es wirklich sicher ist, dort mehr als 100.000 Euro zu deponieren.

Da Banken zum Glück nicht so oft pleite gehen, verdrängen wir nicht-professionellen Anleger das Risiko. Nur wenn in Krisenzeiten Gerüchte über die Instabilität von Banken aufkommen, ziehen wir panikartig unser Geld ab und können so wie in der jüngsten Finanzkrise die Banken in die Illiquidität und damit in die Pleite treiben.

Professionelle Anleger – insbesondere Banken selber – wissen um die Fragilität anderer Banken und legen ihr Geld daher lieber in sichere Wertpapiere an. Wenn sie größere Beträge einer Bank anvertrauen, dann tun sie das meist gegen Sicherheiten: die Bank muss dem professionellen Anleger Wertpapiere verpfänden. Typische sichere Wertpapiere sind Staatsanleihen von großen Industrienationen wie den USA, Japan oder den Staaten Westeuropas. Davon gibt es viele Billionen, aber sie werden immer knapper. Die Staatsverschuldung dieser Länder ist in den letzten Jahrzehnten zwar kontinuierlich gewachsen, aber bei weitem nicht so schnell wie die Weltwirtschaft. Und da die professionellen Anleger Asiens zu wenig Vertrauen ihre heimischen Regierungen haben, kaufen sie lieber US-amerikanische oder europäische anstatt chinesische oder thailändische Staatsanleihen.

Die Konsequenz ist das von Caballero, Fahre und Gourinchas beschriebene Safe Assets Shortage Conundrum: eine chronische Unterversorgung der Weltwirtschaft mit safe assets und einer der Gründe für das seit Jahrzehnten sinkende weltweite Zinsniveau und die Proliferation von privat produzierten safe assets. Die berühmt berüchtigten mit AAA gerateten mortgage backed securities (MBS) und collateralized debt obligation (CDO) haben vor der Finanzkrise nicht nur deswegen so reißenden Absatz gefunden, weil die Anleger verzweifelt nach jedem Hundertstelprozentpunkt Rendite gierten, sondern auch, weil schlicht zu wenige AAA Staatsanleihen dem Markt zur Verfügung standen. In der Finanzkrise hat sich das weltweite Angebot an safe assets auch noch halbiert. Die MBS und CDOs stellten sich als Giftpapiere heraus und die Staatsanleihen vieler europäischer Länder galten plötzlich als ausfallgefährdet. Während 2007 Wertpapiere mit einem Volumen von etwa 37% der weltweiten Wirtschaftsleistung als sicher galten, war im Jahr 2011 das Angebot an safe assets auf nur noch 18% des weltweiten BIP gesunken (S. 32 im oben zitierten Artikel). Kein Wunder, dass die Zinsen so dramatisch eingebrochen sind.

Zwar lassen sich safe assets nicht einfach herstellen. Sie müssen wertbeständig sein, man muss sie leicht kaufen und verkaufen können, ohne wie zum Beispiel bei einem Gebrauchtwagen Angst zu haben übers Ohr gehauen zu werden, idealerweise haben sie Geldcharakter und sind vom Staat garantiert. Aber so sehr der Staat auch versucht, die Produktion von safe assets zu regulieren, die Nachfrage bahnt sich immer einen Weg. Die CDOs waren keineswegs die erste Form von privat produzierten safe assets. Gary Gorton beschreibt in seiner History and Economics of Safe Assets die Entwicklung dieses Phänomens und die Folgen, die sich aufgrund eines zu geringen Angebots an sicheren Anlagen ergeben. Das Hauptproblem von safe assets ist, dass sie normalerweise auf kurzfristigen Kreditbeziehungen beruhen und nie zu Hundert Prozent sicher sind. Daher sind sie immer anfällig für Panikstimmungen und tragen somit zur Instabilität auf den Finanzmärkten bei. Die Finanzkrise war ein gutes Beispiel wie Panik unter Anlegern zunächst Banken und dann ganze Staaten zum Einsturz bringen kann.

Es spricht also einiges dafür, den Markt für sichere Anlagen wieder ins Lot zu bekommen und sowohl auf das Angebot wie auf die Nachfrage von safe assets einzuwirken. Theoretisch könnte man private Produzenten von safe assets wirklich sicher machen und zum Beispiel die Einlagensicherung bei Banken deutlich anheben. Damit würde man aber Banken ungerechtfertigt subventionieren und unvorsichtiges Verhalten (moral hazard) in den Banken befördern. Eine andere Methode, das Angebot an safe assets zu erhöhen, wäre die Staatsanleihen überall in Europa wieder sicher zu machen, sprich einen Mechanismus zu finden, der einen Staatsbankrott und den damit verbundenen Schuldenschnitt  ausschließt. Leider ist auch das nicht ohne erhebliche moral hazard Probleme möglich: Regierungen erliegen zu leicht der Versuchung Probleme der Gegenwart mit einem ungedeckten Scheck auf Zukunft zu bezahlen, insbesondere, wenn sie wissen, dass sie im Fall der Überschuldung von ihren Nachbarstaaten gerettet werden.

Moral hazard hin oder her: Der Umgang mit zu hohen Altschulden und mit undisziplinierten Staatsausgaben ist die zentralen Herausforderung der Eurozonenreform. Die panikartige Kapitalflucht von einem Teil Europas in den anderen war schließlich die Hauptursache für die Eurokrise. Die EU-Kommission befürwortet daher ein künstliches europäisches safe asset – sogenannte Esbies oder SBBS, die ich hier ausführlich bespreche.

Eine weitere Möglichkeit das Angebot an safe assets zu erhöhen, wäre auch Nichtbanken das Recht auf ein Konto bei der Zentralbank einzuräumen. Inzwischen setzen sich Zentralbanken auf der ganzen Welt mit diesem Thema auseinander, von Schweden, über England und die USA bis zur Bank for International Settlements (der Zentralbank der Zentralbanken). Ein Auslöser für diese Diskussion ist der Hype um Bitcoins. Digital Base Money, wie das elektronische Zentralbankgeld für alle genannt wird, muss aber keineswegs auf der distributed ledger Technologie  von Bitcoin basieren. Ein einfaches Konto bei der Zentralbank tut es auch. Mit elektronischem Zentralbankgeld würde man zwar die Profitabilität von privaten Banken etwas reduzieren, weil diese einen höheren Zinssatz auf ihre Sichteinlagen zahlen müssten. Möglicherweise würden sich auch zusätzliche Risiken für die Stabilität des Finanzsystems ergeben, weil sich damit ein neuer leicht erreichbarer sicherer Hafen für Geldanlagen eröffnet. Dennoch scheinen mir die Vorteile zu überwiegen. Es ist aus meiner Sicht schwer begründbar, warum nur Finanzinstitute das Recht auf ein sicheres Zentralbankkonto haben sollten.

Überhaupt ist es nicht einzusehen, warum kleine Unternehmen ihrer Bank ein unbesichertes Darlehen geben müssen und damit bei einer Bankenpleite selber in existentielle Schwierigkeiten geraten, wohingegen Banken sich untereinander gegen Verpfändung von safe assets, sprich ohne Kreditrisiko Geld verleihen. Wem, wenn nicht einer Bank kann es zugemutet werden, eine andere Bank auf Kreditwürdigkeit zu überprüfen? Für Banken ist die Versuchung groß, sich über kurzfristige und besicherte Interbankenkredite zu refinanzieren, schließlich sind diese viel preiswerter als langfristige und unbesicherte Kreditlinien. Diese Form der Refinanzierung hat aber erhebliche negative externe Effekte, weil sie so anfällig für Panik im Interbankenmarkt ist. Außerdem macht eine Bank die unbesicherten Kredite noch unsicherer, wenn sie Sicherheiten verpfändet.

Externe Effekte sind ein klassisches Problem in der Volkswirtschaft. Jeder Volkswirtschaftsstudent lernt im ersten Semester, dass die Preise dann nicht mehr die Wahrheit sagen, zu Fehlallokation führen, und daher durch sogenannte Pigou-Steuern korrigiert werden sollten. Genau dies könnte man auch im Interbankenmarkt machen und eine Steuer auf kurzfristige und besicherte Bankenrefinanzierung erheben. Der Steuersatz sollte umso höher sein, umso kurzfristiger und umso besser die Refinanzierung besichert ist. Banken würden so den Anreiz verlieren, sich kurzfristig und besichert auf Kosten der Finanzmarktstabilität zu refinanzieren.

Wenn Banken sich nicht so kurzfristig refinanzieren würden, bräuchten sie auch nicht so viele liquide Sicherheitsreserven. Seit der Finanzkrise gilt für Banken die sogenannte liquidity coverage ratio. Sie müssen ausreichend viele safe assets vorhalten, um den Liquiditätsbedarf eines Monates abdecken zu können. Anstatt Banken dazu zu zwingen in Staatsanleihen zu investieren, sollte die Regulierung lieber die kurzfristige Refinanzierung der Banken unattraktiv machen und die Liquidität von ausreichend mit Eigenkapital ausgestatteten Banken durch eine Kreditlinie bei der Zentralbank sichern. Das wäre sowohl für die Stabilität der Banken besser als eine Kennziffer, die auf so komplizierten Modellannahmen beruht, dass sie sowieso niemand nachvollziehen kann, und es wäre vor allem besser für die Volkswirtschaft, wenn Banken Kredite an Unternehmen oder Haushalte vergeben, anstatt in Staatsanleihen zu investieren.

Auch die kapitalgedeckte Altersvorsorge sollte nicht in so großem Umfang safe assets halten. Wer sein Geld über Jahrzehnte bis zur Rente anspart, sollte keine Bundesanleihen kaufen und auch keine teure Lebensversicherung, die ihrerseits in Bundesanleihen oder andere sichere festverzinsliche Wertpapiere investiert. Schweden zeigt, wie es auch anders gehen kann. Dort gibt es einen staatlich verwalteten Bürgerfonds für die private Altersvorsorge, der hauptsächlich in Aktien investiert.

Fazit: wir brauchen safe assets in der Eurozone. Aber mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht so viele wie heute. Kleine Unternehmen sollten Zugang zu sicherem elektronischen Zentralbankgeld haben, damit eine lokale Bankenpleite nicht die lokale Wirtschaft mit in den Ruin zieht. Aber Banken selber sollten nicht mehr so viele safe assets halten und für die kapitalgedeckte Altersvorsorge machen safe assets auch keinen Sinn. Was safe assets mit der Eurozone zu tun haben und ob wir ein europaweites einheitliches safe asset brauchen, bespreche ich hier.


 

 

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