Die meisten Menschen glauben, dass sie besser Auto fahren als der Durchschnitt. Auch auf ihr Haus glauben sie besonders gut aufzupassen. Dennoch schließen sie eine Brandschutz- und eine KfZ-Versicherung ab, ohne Angst zu haben, damit den Schlendrian ihrer Nachbarn zu subventio­nieren: Risikoteilung ist günstiger als alleine für einen Großschaden aufkommen zu müssen. Nicht so in Europa. Die deutsche Bundesregierung hat Risikoteilung immer als absolutes Tabu deklariert: Jeder soll sein eigenes Haus in Ordnung halten.

Aus falsch verstandener Angst vor einer dauerhaften Alimentierung wirtschaftlich weniger erfolgreicher Länder hat sich Deutschland ins Abseits gestellt, obwohl ohne Reform Europa bei der nächsten Krise ausein­anderbrechen dürfte. Selbst so konservative Ökonomen wie der Präsident des Ifo-Instituts, Clemens Fuest, oder der Leiter des für seine Austeritäts­politik kritisierten Eurorettungsschirms ESM, Klaus Regling, sprechen sich daher für Risikoteilung aus. Leider scheinen bei den Sondierungsgesprächen manche der Verhandler in ihren ideologischen Denkmustern gefangen und sehen nicht, dass sich keiner der ernsthaften Reformvorschläge für eine Transferunion ausspricht, sondern im Endeffekt für Solidität. Das gilt für Klaus Reglings Schlecht­wetterfonds genauso wie die Lösung der Altschulden, die Clemens Fuest für nötig hält, und auch für Macrons Eurozonenbudget. Sie alle schlagen Risikoteilung ohne Transfers vor und würden Europa bei einer erneuten Krise deutlich stabilisieren.

In Klaus Reglings Schlechtwetterfonds würden die Länder Europas in guten Zeiten Geld ansparen, um in schlechten Zeiten antizyklisch eine Konjunkturkrise abfedern zu können. Dafür wären etwa ein bis zwei Prozent des europäischen BIPs, also etwa 200 Milliarden Euro erforderlich, Geld, dass allen Ländern zu Gute kommen würde. Auch bei uns in Deutschland wird es irgendwann wieder einen Abschwung geben und dann würden wir von diesem Fonds profitieren.

Die Idee einer Altschuldenvergemeinschaftung ist anscheinend besonders emotional aufge­laden. Wie man aus der Sondie­rungs­grup­pe hört, war das der Grund für die Bundes­kanzlerin, die klugen Vorschläge von Clemens Fuest zur Reform der Eurozone gar nicht erst zu disku­tieren. Dabei kann man die Altschulden vergemeinschaften, ohne dass Deutschland für den vermeintlichen Schlendrian anderer Ländern haften muss. Man könnte zum Beispiel alle nationalen Schulden über einer zu definierenden Schwelle auf die europäische Ebene heben. In Deutschland könnte man so überschuldeten Kommunen einen Neustart ermöglichen und damit auch hier die Lebensqualität für alle wieder verbessern. Um den Schuldendienst zu bedienen, würde man Europa die Möglichkeit geben, Steuern zu erheben.

Ideal wäre die Körperschaftsteuer, die man zur Gemeinschaftsteuer zwischen Europa und den Mitgliedstaaten umfunktionieren könnte. Länder, die viele Schulden auf die europäische Ebene verlagern, würden einen großen Anteil ihrer Körper­schaftsteuer an Europa abtreten und Länder mit geringen Schulden dement­sprechend nur einen kleinen Teil. Und weil es in Italien, Spanien oder anderen europäischen Ländern immer Unternehmen geben wird, wird es langfristig auch immer Körperschaftsteuer­einnahmen geben. Die Körperschaftsteuer wäre auch vorteilhaft, weil sie ihre Einnahmen so stark konjunkturabhängig sind. In einer Krise können allein durch die sinkende Körperschaftsteuer die Steuerein­nah­men um ein Prozent vom BIP einbrechen. Normalerweise müsste das Land sich dann verschulden oder seine Ausgaben stark zurückfahren. Auf europäischer Ebene läuft jedoch die Konjunktur mal in dem einem und mal in dem anderen Land besser. In Summe gleichen sich die Schwankungen deutlich besser aus als auf nationaler Ebene. Das gibt den einzelnen Ländern in einer Konjunkturkrise deutlich mehr Spielraum und wirkt so antizy­klisch wie ein automatischer Stabilisator. Ein anderer Vorteil einer europäischen Körper­schaftsteuer ist, dass damit Tricksereien internationaler Konzerne durch Gewinnverlagerung innerhalb Europas schwerer werden. Die schockierenden Enthüllungen der letzten Tage sollten uns eine Mahnung sein.

Auch bei Macrons Eurozonenbudget geht es nicht um Transfers vom reichen Norden in den armen Süden. Macron will auch nicht neue Ausgaben erfinden, die durch zusätzliche Steuern finanziert werden müssten. Er will lediglich öffentliche Güter, wie Verteidigung, Grenz­schutz, Infrastruktur, aber auch Ausgaben für europäische Kultur und Integrationsprojekte von der nationalen auf die europäische Ebene verlagern. Einerseits will er damit Synergien heben, weil derartige Aufgaben effizienter europäisch zu organisieren sind. Anderseits will er durch solche Leucht­turmprojekte den europäischen Zusammenhalt stärken. Genauso wichtig ist aber auch hier die Funktion des automatischen Stabilisators: das Budget soll durch die konjunkturvolatile Körperschaftsteuer finanziert werden.

Mit Macrons Vorschlägen lassen sich problemlos mehrere Prozent des BIPs von der nationa­len auf die europäische Ebene verlagern: Europäische Integration, Effizienzsteigerung und automatische Stabilisierung ohne zusätzliche Steuern oder Transfers. Welcher rationale Jamaika-Verhand­ler kann solch eine Idee ohne ausführliche Diskussion vom Tisch wischen, um sie durch homöopathische Maßnahmen wie eine bessere Kapitalausstattung der europä­ischen Investi­tionsbank zu ersetzen? Und wer Sorge hat, dass ein Eurozonenbudget die europäische Union spalten würde, kann sich wieder beruhigen: das zusätzliche Budget nicht auf die Eurozone begrenzt werden, alle Mitgliedstaaten der EU können sich beteiligen.

Deutschland darf nicht weiter Erbsen zählen. Mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner zwi­schen CDU/CSU, FDP und Grünen lässt sich Europa nicht voranbringen. Wenn Deutsch­land die historische Chance einer ambitionierten Reform verstreichen lässt und die Populisten bei der nächsten Krise auch im Herzen Europas die Macht übernehmen, wird es noch weniger europäische Solidarität und Solidität geben. Dann können sich die CSU ihre Obergrenze, FDP ihre Wirtschaftsförderung und Grüne ihren Klimaschutz an den Hut stecken. Ohne Europa lässt sich keines der Herzensthemen der jeweiligen Parteien reali­sieren. Ohne Europa werden auch wir in Deutschland von unserem hohen Ross absteigen müssen.


 

 

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