Endlich kommt von der SPD ein vernünftiger Vorschlag zur Bekämpfung von Altersarmut. Während die damaligen Arbeitsministerin Andrea Nahles Geringverdiener mit einer als “Solidar-Rente” verbrämten Sozialhilfe abspeisen wollte, gönnt mit Hubertus Heil erstmalig ein prominenter SPD Politiker auch Geringverdienern eine echte Rente (die sogenannte Respekt-Rente) und keine bessere Form der Sozialhilfe.
Leider habe ich im Internet weder bei der SPD noch beim Arbeitsministerium detaillierte Unterlagen zur Respekt-Rente von Hubertus Heil gefunden. Aber das, was man dort findet, liest sich erstaunlich ähnlich wie die im November 2015 von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wirtschaft und Finanzen von Bündnis 90/Die Grünen gemeinsam mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Arbeit, Gesundheit und Soziales verabschiedeten Leitlinien für eine soziale und nachhaltige Reform des Rentensystems. Der zentrale Satz: “Menschen, die den größten Teil ihres Lebens gearbeitet, Kinder erzogen, andere Menschen gepflegt oder sonstige Anwartschaften in der Rentenversicherung erworben haben, sollen im Alter eine Rente beziehen, die oberhalb der Grundsicherung liegt – ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Anrechnung weiterer erworbener Ansprüche und Ersparnisse” wurde quasi wortgleich von Hubertus Heil übernommen.
Wir Grüne haben das Garantierente genannt. Wichtig an dieser Idee ist, dass es sich um eine echte Rente und nicht eine bessere Form der Sozialhilfe handelt. Ich habe das hier ausführlich begründet. Der wesentliche Unterschied zwischen einer echten Rente und Sozialhilfe ist die Bedürftigkeitsprüfung. An genau dieser kristallisiert sich momentan der Streit. CDU/CSU (und FDP) wollen zwar auch bedürftige Menschen im Alter nicht verhungern lassen. Deswegen wollen sie die Grundsicherung im Alter auch nicht abschaffen. Aber die Grundsicherung ist eben eine Form der Sozialhilfe und keine Rente. Sie wird an Menschen in Not ausbezahlt und diese Menschen müssen ihre Not auch penibel nachweisen. Rente hingegen bekommt jeder Mensch, der in die Rentenversicherung einbezahlt hat. Auch der Milliardär. Die Bedürftigkeit ist vollkommen irrelevant. Die Rente ist ein Anspruch, den man sich durch lebenslange Arbeit verdient hat. Dabei spielt überhaupt keine Rolle, ob man Vermögen hat, oder andere Einkünfte oder einen reichen Ehemann. Die einzige Frage ist, ob man lange genug in die gesetzliche Rentenversicherung einbezahlt hat.
Das Problem der deutschen gesetzlichen Rente ist, dass Menschen mit niedrigen Löhnen schlicht keine Chance haben, sich eine Rente zu erarbeiten. Mit Mindestlohn müsste man etwa sechzig (sic: 60!) Jahre Vollzeit arbeiten, um mehr Rente als Grundsicherung zu erhalten. Man muss 45 Jahre lang ohne Unterbrechung mehr als 1.800 Euro verdienen, um mehr Rente als Grundsicherung zu erhalten. 25% der Neuzugänge in der Rente mit mehr als 35 Versicherungsjahren bekommen daher weniger als 800 Euro Rente. Ein Rentensystem, das Menschen mit niedrigen Löhnen auch nach lebenslanger Vollzeitarbeit mit Sozialhilfe abspeist, kann nicht ernsthaft als gerecht und motivierend bezeichnet werden.
Dennoch ist es genau das, was CDU/CSU und FDP fordern. Menschen, die den größten Teil ihres Lebens gearbeitet haben, aber das Pech hatten schlecht zu verdienen, sollen weiter zum Amt gehen müssen und penibel nachweisen, dass sie arm sind. Wenn sie sich mühsam ein bisschen Geld erspart haben, müssen sie das zunächst aufbrauchen. Wenn sie andere Einkünfte haben, weil sie sich noch etwas dazu verdienen oder weil sie privat oder betrieblich Altersvorsorge betrieben haben, müssen sie sich bis auf niedrige Freibeträge alles anrechnen lassen. Genau das ist Sozialhilfe. Punktgenaue Unterstützung von bedürftigen Menschen.
Hubertus Heil will, genau so wie wir Grüne, dass alle Menschen, die den größten Teil ihres Lebens gearbeitet haben, automatisch eine echte Rente beziehen. Ohne Bedürftigkeitsprüfung, genau wie alle anderen echten Rentner. Eine Rente, die zum Leben reicht und die nicht durch Sozialhilfe aufgestockt werden muss. Dass sie genau wie alle anderen Rentner auch, ihre Ersparnisse behalten dürfen und sich auch etwas dazuverdienen dürfen.
Das ist erstmalig mal ein richtig guter Vorschlag von der SPD. Und es traurig, dass CDU/CSU so vehement dagegen schießt. Angeblich könnten wir uns das nicht leisten. Unsinn. Die Reform von Hubertus Heil kostet deutlich weniger als 10 Milliarden Euro. Wir Grüne haben ein unabhängiges wissenschaftliches Gutachten zu den Kosten unserer Garantierente anfertigen lassen. Die von Herrn Heil genannte Zahl ist absolut plausibel. Verrückterweise wollen diejenigen, die behaupten, wir könnten uns das nicht leisten, lieber den Soli abschaffen. Das kostet 20 Milliarden Euro, eine Maßnahme von der ganz überwiegend das reichste 10% der Bevölkerung profitieren würde.
Kleine Anmerkung noch am Schluss: viele Kritiker von Heils Vorschlag führen die sprichwörtliche reiche Arztgattin an, die angeblich auch von dem Vorschlag profitieren würde. Das muss überhaupt nicht sein. Wir Grüne plädieren in unserem Rentenreformvorschlag für ein sogenanntes Rentensplitting. Beide Rentenansprüche eines Ehepaares werden für die Berechnung der Garantierente herangezogen.
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Da hat ein Mensch 35 Jahre für etwa 10 € pro Stunde gearbeitet und kriegt eine Rente unter Mindestsicherungsniveau: da muss man doch helfen!
Ein anderer Mensch hat 35 Jahre für 20 € pro Stunde gearbeitet, aber immer nur halbtags; und kriegt entsprechend genauso wenig Rente wie der oben. Wieso soll man da helfen? Bei Vollzeitarbeit hätte dieser Mensch sich eine auskömmliche Rente erarbeitet. Nun kann man spekulieren, warum dieser Mensch nur halbtags gearbeitet hat. Schicksalhafte Gründe? Freie Entscheidung wegen anderen Prioritäten? Oder einfach nicht nötig gehabt, wegen Erbschaft, Lottogewinn, Ehepartner? Hat das was mit Gerechtigkeit zu tun, hier von der Gemeinschaft Geld zu verlangen, um “Respekt” auszudrücken? Oder ist das Respektlosigkeit gegenüber allen anderen?
Das ist nur ein Beispiel für viele groteske Situationen, die mit diesem Konzept der SPD heraufbeschworen werden. Viel schlimmer ist noch was anderes:
In der Rentenpolitik haben wir zwei alles überragende Themen: das erste ist die Bewältigung des demographischen Wandels. Ein Thema wie der klimawandel: alle Zahlen liegen auf dem Tisch, wenn wir heute nicht oder falsch handeln, fliegt uns in wenigen Jahrzehnten alles um die Ohren und es ist kaum mehr zu reparieren. Folgerung: um Gotteswillen keine zusätzlichen Belastungen und Verpflichtungen!!! Die nächsten Generationen können das niemals stemmen, egal ob über Steuern oder Beiträge! Stichwort Generationengerechtigkeit.
Das zweite Thema ist Altersarmut. Die gibt es natürlich, wenn auch bei Weitem nicht in dem dramatischen Ausmaß, wie es manche Sozialverbände verkünden. Folgerung: wenn wir überhaupt irgendwo Geld locker machen können (siehe oben), dann muss das fokussiert zur Bekämpfung der Altersarmut eingesetzt werden. Das sehe ich als soziale Verpflichtung und höchstes Gebot der Gerechtigkeit an.
Da ist kein Platz für eine Bequemlichkeitsrente (=Rente mit 63), Mütterrente oder Respektrente. Jede dieser Wohltaten lastet dem Rentensystem 5-10 Mrd. € pro Jahr auf, und keines setzt das Geld gezielt gegen Altersarmut ein. Wie zynisch ist das denn, die Armen links liegen zu lassen und nebendran Menschen finanziellen “Respekt” zu zollen, die das Geld gar nicht so nötig haben.
Falsche Prioritäten, weder sozial noch gerecht. Wir sind da auf dem falschen Dampfer.
Nun, bei den letzten Umfragen kommt grün-rot-rot zusammen auf rund 44 %. Da fehlt an einer anderen Mehrheit im BT, die eine derartige Rente einführen könnte, nicht ganz so viel …
Danke, dass Du diesen Vorschlag in den richtigen Kontext stellst – und auch dazu stehst, wenn ihn jetzt die SPD sich zu eigen gemacht hat. Trotzdem, eine Realisierungschance hat die SPD kaum. Den Bruch der Groko wird sie deswegen nicht riskieren wollen – wieder mal.