In Europa wird derzeit heftig um die Digitalsteuer gerungen. Während insbesondere Frankreich, Großbritannien und die EU Kommission zum Kampf gegen die systematische Steuervermeidung der großen Internetkonzerne aufgerufen haben, sträubt sich Deutschland. Der Hauptgrund ist die Sorge um deutsche Exporte. Was sind die Hintergründe?

Die Körperschaftsteuer wird traditionell dort erhoben, wo die Wertschöpfung stattfindet. Wenn ein Unternehmen in einem Land ansässig ist oder eine sogenannte steuerliche Betriebsstätte unterhält, muss es in diesem Land Steuern bezahlen. Die rechtliche Definition der Betriebsstätte stammt noch aus Zeiten normal produzierender Unternehmen. Da ist von Bergwerken, Fabrikationsstätten und Warenlagern die Rede. Facebook, Google und die anderen großen Internetunternehmen verdienen ihr Geld jedoch nicht mit Fabriken. Deshalb verdienen sie in einigen Ländern sehr viel Geld, ohne dort eine Betriebsstätte im steuerlichen Sinn zu unterhalten. Daher können sie in diesen Ländern nach jetzigem Steuerrecht auch nicht besteuert werden.

Und selbst wenn eine steuerliche Betriebsstätte gebildet werden muss, können international tätige Unternehmen leicht ihre Gewinne und damit ihre Steuerpflicht in Steueroasen verschieben. Lokal besteuert werden nämlich die lokal erwirtschafteten Gewinne. Diese sind definiert als lokale Umsätze abzüglich aller Kosten (auch Kosten, die im Ausland entstehen), die diesen Umsätzen zugerechnet werden können. Dazu  zählen auch konzerninterne Finanzierungskosten und Lizenzgebühren für den Aufbau der Marke oder der Software. Insbesondere die konzerninternen Lizenzgebühren sind leicht manipulierbar. Die Lizenzrechte werden in Steueroasen verlagert. Die irländische Tochtergesellschaft von zum Beispiel Apple hält irgendwelche Markenrechte von Apple und stellt der deutschen Tochtergesellschaft dafür eine hohe Lizenzrechnung. Dadurch werden die Gewinne aus Deutschland nach Irland verschoben.

Diese Art der Erhebung der Körperschaftsteuer im Produktionsland hat zwar lange Tradition. Aber als man sich dieses System ausgedacht hat, fand Produktion und Umsatz eines Unternehmens meist noch im selben Land statt. Im Zeitalter großer international tätiger Konzerne erweist sich dieses System als zunehmend schwierig. Große Unternehmen verlagern ihre Gewinne ohne Probleme in Steueroasen. Besonders deutlich sieht man es bei den großen Digital­konzernen, die Weltmeister bei dieser Form der  Steuervermeidung sind: während normal produzierende Unternehmen im Durchschnitt immerhin 23,2% Steuern auf ihre Gewinne zahlen, drücken Digitalkonzerne ihre effektive Steuerlast auf 9,5%, obwohl für sie dieselben Regeln gelten wie für klassische Unternehmen.

Die europäische Kommission hat sich nun einen Vorschlag ausgedacht, wie man dem Herr werden kann. Bei großen Digitalkonzernen mit mehr als 750 Millionen Euro Umsatz sollen nicht mehr die lokalen Gewinne, sondern die lokalen Umsätze besteuert werden. Damit können keine Gewinne mehr verschoben werden.

International führende Ökonomen, wie zum Beispiel Alan Auerbach aus Berkeley oder Michael Devereux aus Oxford, sprechen sich schon lange für eine neue Form der Unter­nehmensbesteuerung ein, bei der die lokalen Umsätze abzüglich der lokal anfallenden Kosten besteuert werden und so Gewinnverschiebung in Steueroasen ausgeschlossen wird. Der Fachbegriff für diese neue Form der Besteuerung heißt destination based cash flow tax. Auch die Republikaner in den USA hatten kurzfristig mal mit so einer Steuerreform geliebäugelt. Ich habe ihre Wirkungsweise und Vorteile hier ausführlich beschrieben.

Die Digitalsteuer ist eine erste, auf wenige Unternehmen begrenzte Abkehr von der tradierten Unternehmensbesteuerung. Sie ist eine harte einseitige Maßnahme, insbesondere weil sie momentan fast nur amerikanische Unternehmen trifft. Es ist also gut möglich, dass die USA mit Gegenmaßnahmen reagieren, die zum Beispiel die deutsche Automobilindustrie treffen könnten.

Eigentlich sollte man sich also am internationalen Verhandlungstisch über eine Steuerreform einigen, die dazu führt, dass internationale Konzerne und auch moderne Internetunternehmen endlich genauso viel Steuern zahlen müssen, wie der heimische Mittelstand, der keine Möglichkeit der Gewinnverlagerung in Steueroasen hat. Das Verhandlungsziel ist eine sogenannte gemeinsame konsolidierte Körperschaftsbemessungsgrundlage (GKKB) mit international verbindlichen Mindeststeuersätzen.

Die deutsche Regierung drängt darauf, zunächst den Verhandlungsweg zu suchen und notfalls erst später einseitig zu handeln. Die EU, Frankreich, England und viele andere Länder wollen der Welt zeigen, dass wir es ernst meinen, und deshalb jetzt unilateral in Europa diese neue Steuer einführen. Sie soll aber mit einem klaren und heute schon gesetzlich festgeschriebenen Verfallsdatum versehen sein: sobald es gelingt, das internationale Steuersystem zu reformieren und sich auf eine GKKB und Mindeststeuersätze zu einigen, soll die Digitalsteuer wieder abgeschafft werden.

Man kann geteilter Meinung sein, welche Verhandlungstaktik am besten zum Erfolg führt.  Die eher konziliante deutsche Verhandlungslösung klingt sympathisch. Das Problem ist nur, dass innerhalb der OECD schon seit Jahrzehnten über dieses Thema verhandelt wird und von einem nahen Durchbruch nichts zu sehen ist. Daher kann man auch die französische Position verstehen. Wenn schon seit Jahrzehnten erfolglos verhandelt wird, muss man vielleicht einmal einseitig Druck aufbauen, damit die Welt sieht, dass wir es ernst meinen.

Wenn man sich nicht einigt, dann muss man bereit sein, auch harte unilaterale Maßnahmen zu ergreifen. Sonst endet man so wie Frau Nahles mit Herrn Maaßen. Und unilaterale Maßnahmen bei der Körperschaftsteuer setzen nun einmal am Umsatz an. Nur so kann man sich dem internationalen Steuerwettbewerb mit immer niedrigeren Steuersätzen entziehen. Dann haben heimische Unternehmen nämlich keinen Wettbe­werbs­nachteil mehr durch höhere Steuersätze. Die Steuern müssten dann alle Unternehmen gleich bezahlen, die hier Umsätze tätigen.

Die Digitalsteuer eignet sich gut als ein erster Nadelstich. Allerdings muss man unbedingt klar machen, dass dies nur ein erster Schritt zu einer umfassenden Steuerreform ist. Schließlich verschieben nicht nur Digitalkonzerne ihre Steuern in Steueroasen. Wenn man sich in den nächsten wenigen Jahren nicht international auf eine GKKB und Mindeststeuersätze verständigen kann, sollte man als EU für alle Sektoren eine destination based cash flow tax, sprich eine am lokalen Umsatz und lokalen Kosten bezogene Körperschaftsteuer einführen, bei der man die Gewinne nicht mehr international verschieben kann.

Die deutsche Regierung scheut eine solche Reform. Sobald man Umsätze und nicht mehr die Produktion zum internationalen Verteilungsschlüssel für die Körperschaftsteuer macht, dürften kurzfristig die Steuereinnahmen in Deutschland sinken. Im Interview mit Spiegel Online hat Scholz erstmals offen zugegeben, dass das der Grund ist, warum er die Digital­steuer wirklich ablehnt.  Grundsätzlich hat er recht. Wenn Produktion besteuert wird, dann profitieren Länder mit hohem Exportüberschuss. Wenn Umsatz das neue Kriterium für die Verteilung der Körperschaftsteuer wird, dann profitieren Länder, die mehr importieren. Die Frage stellt sich tatsächlich: will man Steuergerechtigkeit, sprich will man, dass auch internationale Konzerne endlich effektiv besteuert werden? Oder will man lediglich deutsche Steuereinnahmen maximieren? Anscheinend hat Olaf Scholz hier eine klare Meinung: Soll Apple doch international keine Steuern zahlen, Hauptsache der deutsche Fiskus kann sich an Adidas, Allianz, Daimler und Konsorten gütlich tun.

Die Steuereinnahmen sinken aber nur, solange Deutschland hohe Exportüberschüsse erzielt. Und diese Überschüsse erwirtschaften wir deshalb, weil wir seit zwei Jahrzehnten viel zu wenig investieren und weil wir insbesondere Anfang der 2000er Jahre hemmungsloses Lohndumping betrieben haben. Über viele Jahre sind unsere Löhne nicht nur deutlich langsamer gestiegen als die Produk­ti­vität, die Reallöhne sind lange Zeit sogar gesunken. Von einem führenden Sozialdemokraten würde man eigentlich meinen, dass er ernsthaft für Lohnsteigerungen in Deutschland eintritt, und dafür, dass die Infrastruktur in Deutschland endlich wieder auf Vordermann gebracht wird. Sind die Forderungen von Olaf Scholz nach zwölf Euro Mindestlohn und nach einer deutschen Investitionsoffensive nur Lippenbekennt­nisse?

Scholz Nein zu internationaler Steuergerechtigkeit wird sich als heftiges Eigentor erweisen, wenn die Binnennachfrage angesichts höherer Investitionen und fairer Löhne wieder auf ein vernünftiges Niveau ansteigt und unsere Leistungsbilanz wieder ausgeglichen ist. Dann geht die merkantilistische Maximierung deutscher Steuereinnahmen zulasten anderen Ländern nicht mehr auf. Mit einer ausgeglichenen Leistungsbilanz würden auch in Deutschland die Steuereinnahmen steigen, wenn alle Unternehmen effektiv besteuert werden – auch die großen Digitalkonzerne und alle anderen, die derzeit mit legalen Steuertricks ihre Gewinne in Steueroasen verschieben.

Eine Steuerreform, die die Körperschaftsteuer nach Umsätzen aufschlüsselt, führt zu deutlich mehr Steuergerechtigkeit. Sollte Deutschland dauerhaft Exportweltmeister bleiben, weil wir dauerhaft Lohn­dumping betreiben und zu wenig investieren, werden unsere Körperschaftsteuerein­nahmen sinken. Aber das müssen wir ertragen. Steuergerechtigkeit ist ein hohes Gut. Nicht nur aus ethischen Gründen. Auch aus Gründen des fairen Wettbewerbs. Wir ruinieren unseren Mittelstand, wenn Amazon keine Steuern bezahlt, während der kleine Buchladen um die Ecke hemmungslos zur Kasse gebeten wird.


 

Ich würde mich freuen, wenn Sie meinen Blog abonnieren.
Ich veröffentliche in unregelmäßigen Abständen etwa 5-6 Artikel im Monat und weise Sie gerne per Email auf einen neuen Beitrag hin.

Blog abonnieren: