Nie wieder Steuergelder zur Bankenrettung. Das war das große Versprechen nach der Finanzkrise. Kaum wackeln jedoch wieder Banken – diesmal in Italien – kann sich anscheinend niemand daran erinnern. Eigentlich müssten die Kreditgeber auf ihre Ansprüche verzichten (bail-in), wenn eine Bank insolvent wird. Das hätte in Italien jedoch gravierende politische Folgen, weil die Banken ihren Kapitalbedarf über oft ahnungslose Kunden gedeckt haben. Genau das gibt es aber auch im großen Stil in Deutschland: Landesbanken refinanzieren sich über intransparente Zertifikate, die sie über das Vertriebsnetz der Sparkassen an ahnungslose Kleinanleger verkaufen.

Zertifikate sind Finanzinstrumente, mit denen ein Kunde auf bestimmte Ereignisse wetten kann, um so eine höhere Verzinsung seiner Ersparnisse zu erreichen. Normalerweise nennt man diese Art von Wetten Derivate (lateinisch derivare = ableiten). Ein Derivat ist ein Finanzinstrument, dessen Wert sich aus dem Wert einer Referenzgröße ableitet. Derivate gibt es seit Urzeiten, zum Beispiel für Landwirte zur Absicherung des zukünftigen Weizenpreises oder für Exporteure zur Absicherung des zukünftigen Währungskurses. Derivate sind schwer zu bepreisen, schließlich weiß niemand, wie die nächste Ernte ausfallen wird und wie sich daher der Weizenpreis entwickeln wird.

Normalerweise versichern sich diejenigen, die Risiken schwer tragen können (Landwirte, mittelständische Unternehmen, etc.) bei denjenigen, die Risiken leichter tragen können, sprich bei großen Finanzinstituten. Diese können derartige Risiken eingehen, weil sie sie mit komplexen mathematischen Modellen berechnen können und weil sie sehr viele unterschiedliche, nicht miteinander korrelierte Risiken gleichzeitig absichern und in der Regel unkorrelierte Risiken nicht alle gleichzeitig eintreten.

Aufgrund der schwer einschätzbaren Risiken und des extrem gewachsenen Volumens dieser Geschäfte hat Warren Buffet im Jahr 2002 Derivate als finanzielle Massenvernichtungswaffen (financial weapons of mass destruction) bezeichnet. In der Finanzkrise hat sich Warren Buffets Vorhersage bewahrheitet. Derivate haben selbst den größten Versicherungskonzern der Welt zu Fall gebracht. Im Jahr 2008 verbuchte AIG einen Verlust von 99,3 Milliarden US Dollar und musste mit 85 Milliarden US Dollar vom amerikanischen Steuerzahler gerettet und verstaatlicht werden. AIG hatte vor der Finanzkrise im großen Stil sogenannte credit default swaps (CDS) Derivate abgeschlossen.

Typische deutsche Sparkassenkunden scheuen das Risiko. Daher kaufen sie keine Aktien und schon gar keine Derivate. Sie freuen sich aber, wenn sie scheinbar risikolos ein klein wenig mehr Zinsen für ihr Geld bekommen. Und so haben die Banken Zertifikate erfunden. Damit schlagen sie mehrere Fliegen mit einer Klappe und die größte Fliege ist der ahnungslose Kunde: Große Banken haben oft zu wenig Kapital. Um sich dieses zu besorgen, könnten sie Anleihen bei kundigen institutionellen Anlegern platzieren. Dies ist jedoch relativ teuer. Wenn sie diese Anleihen ihren Kunden ins Depot legen, müssen etwas weniger Zinsen bezahlen. Mit den Zertifikaten können sie obendrein Risiken auf ihre Kunden abwälzen. Die Banken können so gefahrlos selber Risiken eingehen und damit Geld verdienen. Außerdem brauchen sie weniger Eigenkapital für ihre Geschäfte, weil die Kunden das Risiko für sie tragen.

Ahnungslose Kunden übernehmen so die Rolle von Versicherungskonzernen – mit dem großen Unterschied allerdings, dass sie weder über die finanzmathematischen Modelle zur Bepreisung des Risikos verfügen noch in der Lage sind, viele unkorrelierte Risiken gleichzeitig zu versichern. Kleine Sparkassenkunden spielen also AIG, ohne zu wissen, was sie tun, und ohne dass sie einen fairen Preis für die Übernahme des Risikos erhalten.

Sie versichern zum Beispiel das Kreditausfallrisiko von einem Unternehmen wie Lanxess, obwohl sie nicht in der Lage sind, das Ausfallrisiko einzuschätzen. Weil Kleinkunden niemals ein credit default swap kaufen würden, haben die Banken dieses Derivat einfach Bonitätsanleihe genannt. Klingt gleich viel harmloser.

Oder sie versichern das Risiko eines Börsenkraches. Besonders pervers bei dieser Art von Zertifikat ist, dass die Kunden im guten Fall mit einem niedrigen festen Zins abgespeist werden, d.h. nicht von steigenden Kursen profitieren, und im schlechten Fall einen Großteil ihres Geldes verlieren können. Die Sparkassenkunden spekulieren so nichtsahnend an der Börse, obwohl sie niemals Aktien gekauft hätten und obwohl sie beim Kauf einer Aktie wenigstens eine Gewinnchance gehabt hätten.

Mit den Zertifikaten tragen die Kunden immer ein doppeltes Risiko: sie spielen Versicherungskonzern und sie leihen einer Bank Geld in Form einer unbesicherten Anleihe. Wenn die Bank in Schieflage kommen sollte, müssen solche Anleihen gemäß Bankenabwicklungsrichtlinie BRRD für die Verluste der Bank aufkommen (bail-in). Sie fallen nicht wie normale Sparkonten oder Termingelder unter die Einlagensicherung.

Selbst die nicht wirklich als Verbraucherschutzbehörde bekannte BaFin sieht das genauso kritisch: Sie hat im Sommer letzten Jahres angekündigt, sogenannte Bonitätsanleihen zu verbieten. Nachdem die Banken im Dezember 2016 eine Selbstverpflichtung unterschrieben haben, dass sie diese Zertifikate nicht mehr an Kleinanleger verkaufen würden, hat die BaFin von dem Verbot abgesehen.

Im Fall der HSH Nordbank haben diese Zertifikate eine besondere Brisanz. Die HSH musste aufgrund zu vieler fauler Schiffskredite mit etwa 15 Milliarden Euro vom Staat gerettet werden. Diese Rettung wurde von der EU Kommission nur unter der Voraussetzung genehmigt, dass bis Februar 2018 ein Käufer für die Bank gefunden wird. Sollte das nicht möglich sein, muss die Bank ohne weitere Staatshilfen abgewickelt werden.

Als Landesbank ist die HSH allerdings Teil der Institutssicherung: Die Sparkassen und Genossenschaftsbanken stützen sich gegenseitig und konnten so bislang den Konkurs eines angeschlossenen Institutes vermeiden. In ihrer Außenkommunikation werben die Sparkassen offensiv damit, ohne sich jedoch formal zu verpflichten, auf jeden Fall auch in Zukunft alle angeschlossenen Banken zu retten. Als in der Finanzkrise Landesbanken in Schieflage gerieten, waren die Sparkassen nicht in der Lage oder nicht Willens diese Landesbanken zu retten, sie mussten vom Staat aufgefangen werden. Ob die Sparkassen wirklich die Finanzkraft haben, eine Großbank wie die HSH mit vielen Milliarden zu stützen, lässt sich von außen nicht beurteilen, weil sie keine Details über die finanziellen Reserven der Institutssicherung veröffentlichen.

Sollten die Sparkassen nicht in der Lage sein, die HSH aufzufangen, besteht ein Risiko, dass die Zertifikate wertlos werden. Dann wird es aber sicherlich zu Klagen kommen. Die Sparkassenkunden könnten die Werbung mit der Institutssicherung für sich geltend machen und sie könnten sich auf die BaFin berufen, die 2016 zum Schluss kamen, dass derartige Zertifikate nicht für Kleinanleger geeignet seien. Die BaFin hatte zwar explizit nur sogenannte Bonitätsanleihen vom Markt nehmen wollen. Allerdings trifft die Begründung für ein Verbot von Bonitätsanleihen auf jede Form von Zertifikat zu, bei dem Kunden als Versicherer für ein für sie unkalkulierbares Risiko auftreten. Die Wahrscheinlichkeit, dass Kleinkunden für sehr viel mehr Zertifikate entschädigt würden, ist also hoch. Politisch dürfte es jedenfalls verheerend sein, wenn ahnungslose Kleinanleger für die Pleite einer Landesbank haften müssten.

Kunden vertrauen dem Kundenberater ihrer Bank. Sie sind nicht in der Lage, das Risiko einer Anleihe zu beurteilen. Wenn die Bank die Anleihe eines fremden Unternehmens verkauft und von diesem keine Provision erhält, handelt die Bank im Interesse ihrer Kunden. Wenn die Bank aber ihre eigenen Anleihen verkauft, hat sie einen Interessenkonflikt: sie verdient umso mehr Geld, wenn die Kunden möglichst wenig Zinsen für diese Anleihe bekommen und sie hat kein Interesse daran, den Kunden darauf hinzuweisen, dass diese Anleihen bei einer Schieflage der Bank wertlos würden.

Wenn Banken ihren Kunden also eigene Anleihen oder andere Kapitalinstrumente verkaufen, müssen sie dazu verpflichtet werden, ganz besondere Sorgfalt walten zu lassen, um sicher zu stellen, dass sie wirklich im Interessen des Kunden handeln und nicht in ihrem Eigeninteresse. Das ist heute nicht ausreichend der Fall.

Hier gibt es den Prospekt für die Bonitätsanleihe der HSH zu Lanxess: Lanxess
Und hier den Prospekt für das HSH-Zertifikat zur Absicherung eines Börsenkrachs: Stoxx put


 

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