Wer den Grexit herbeiredet, müsste eigentlich vor Gericht. Warum wurde Rolf Breuer angeklagt? Und warum musste die Deutsche Bank aufgrund eines Interviews ihres ehemaligen Vorstandsvorsitzenden 925 Millionen Euro an die Erben von Leo Kirch bezahlen? Nun, Herr Breuer hatte behauptet, dass die Kirch Gruppe nicht mehr kreditwürdig sei. Und was passiert, wenn der größte Geldgeber eines Unternehmens solche Behauptungen in die Welt stellt? Genau: die meisten Banken werden panikartig ihre Kreditlinien glatt stellen. Das Unternehmen kommt nicht mehr an Geld, wird illiquide und muss Konkurs anmelden.

Das gleiche trifft auf Staaten zu. Auch hier können prominente Vertreter von großen Gläubigern problemlos den Konkurs herbei reden. Wolfgang Schäuble hat dies während der letzten Hochphase der Griechenlandkrise im Juni 2015 fast geschafft. Jetzt spielt Graf Lambsdorff genauso mit dem Feuer. Zum Glück hat Graf Lambsdorff nicht die gleiche Autorität wie Wolfgang Schäuble, so dass die Märkte ihn nicht so ernst nehmen. Dennoch ist er immerhin Vizepräsident des Europaparlamentes. Er sollte also besser schweigen.

Solange die Märkte meinen, der Staat könne seine Zahlungsverpflichtungen erfüllen, kann sich der Staat zu niedrigen Zinsen verschulden. Wenn aber Nervosität aufkommt, steigen die Zinsen. Daraus entsteht ein Teufelskreis. Die höheren Zinsen führen dazu, dass die Schuldenlast für das Land schwerer zu tragen wird. Die Investoren werden nervöser, die Zinsen steigen weiter und plötzlich ergibt sich eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Die Zinsen steigen so sehr, dass sie das Land tatsächlich in die Zahlungsunfähigkeit stürzen. Volkswirte kennen dieses Phänomen schon lange und bezeichnen es als multiple Gleichgewichte.

Wenn sich ein Staat in Fremdwährung verschuldet, kommt noch ein viel größeres Problem hinzu: Wenn der Währungskurs abwertet, bekommen alle Schuldner des Landes Zahlungsschwierigkeiten – auch solvente private Unternehmen: ihre Einnahmen erhalten sie in lokaler Währung, ihre Schulden müssen sie aber in Fremdwährung begleichen. Auch hier kommt es zum Teufelskreis: die Gläubiger werden nervös und ziehen ihre Gelder ab, dadurch kommt der Währungskurs unter Druck und die Zinsen vor Ort steigen. Die Unternehmen kommen nicht mehr an Geld und müssen ihre Investitionen einstellen. Die Konjunktur bricht ein, das BIP geht zurück, der Staat hat geringere Steuereinnahmen, die Unternehmen machen Verluste. Dadurch ziehen noch mehr Investoren ihre Gelder ab und es kommt zur Zahlungsunfähigkeit des gesamten Landes. Ökonomen bezeichnen dieses Phänomen als sudden stop. Die Asienkrise Ende der 1990er Jahre lief genau nach diesem Muster ab.

Auch die Eurokrise war ein sudden stop. Die Finanzmärkte hatten plötzlich Sorge, dass Griechenland, Spanien oder ein anderes Krisenland aus dem Euro austreten könnte. Sollte das passieren, würden die neuen Drachmen oder Peseten massiv abwerten und die meisten Schuldner hätten große Probleme ihre auf Euro lautenden Schulden zu bezahlen. Wenn zum Beispiel bei einem Grexit die Drachme um 50% abwertet, und das ist in so einer Krise noch wenig, würden die Schulden im Vergleich zum BIP von derzeit 180% nur aufgrund der Abwertung auf 360% anwachsen.

Dazu kommt noch das zu erwartende wirtschaftliche Chaos. Eine völlig neue Währung muss eingeführt werden. Banknoten müssen gedruckt und verteilt werden. IT Systeme in den Banken und der Wirtschaft müssen umprogrammiert werden. Bei der Einführung des Euros haben wir uns Jahre für die Umstellung Zeit genommen. Die Einführung der Drachme wird mindestens Monate dauern. Die brutale Unsicherheit wird das Land lähmen. In dieser Zeit wird die Wirtschaft Griechenlands vollständig zum Stillstand kommen. Das Chaos während der Kapitalverkehrskontrollen im Sommer 2015 waren ein Kinderspiel im Vergleich zu dem zu erwartenden Chaos bei einem Grexit.

Sicher ist, dass Griechenland im Fall eines Grexits seine Schulden nicht mehr zurückzahlen wird. Wenn wir heute über eine Umschuldung sprechen, reden wir über eine Streckung der Laufzeiten und Senkung der Zinsen. Bei einem Grexit wären jedoch auch die Kredite selbst unwiederbringlich verloren.

Auch für die Menschen in Griechenland wäre der Grexit eine Katastrophe. Lebensnotwendige Importe können nicht mehr gezahlt werden. Armut würde explodieren. Es würde Jahre dauern, bis Kapazitäten in einer Exportindustrie aufgebaut würden. Die Menschen müssten auf neue Arbeitsplätze umgeschult werden. Die Arbeitslosigkeit würde auf eine noch dramatischere Höhe ansteigen und würde, wenn überhaupt, erst mittelfristig wieder sinken. Während einer längeren Zeit würde also größtes Elend herrschen.

Zu der wirtschaftlichen Katastrophe kommt der menschenverachtende Umgang mit den Griechen. Sie wollen im Euro bleiben. Die Befürworter des Grexits setzen sie jedoch vor die Tür und stoßen sie in den wirtschaftlichen Abgrund. Das wollen sie mit „humanitärer“ Hilfe flankieren. Was soll dieses Gerede? Wollen wir das Land erst zu Boden schlagen und dann großzügig Suppenküchen finanzieren? Aus dieser Demütigung kann eigentlich nur Hass erwachsen.


 

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