Angesichts des Brexit wird es Zeit, den Blick nach vorne zu richten: wie kann verhindert werden, dass die Eurozone immer wieder durch existentielle Krisen erschüttert wird? Ist die Eurozone ohne Fiskalunion nicht überlebensfähig?

Der Euro wurde schon oft als nicht lebensfähig verunglimpft. Die wirtschaftlichen Vor­teile für die Mitgliedsstaaten, allen voran für Deutschland, und der politische Wille Europa zusammenzuhalten haben sich jedoch noch immer als stärker erwiesen. Auch ohne Reformen wird der Euro überleben. Aber trotzdem würde man sich die nächtlichen Krisensitzungen des europäischen Rates gern ersparen. Es muss nicht sein, dass sich Regierungschefs und Finanzminister fünf Jahre lang nur mit einem Thema beschäftigen.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse der letzten Jahre ist, dass es auch innerhalb einer Währungsunion zu extremen Vertrauenskrisen kommen kann. Sudden Stops nennen Volkswirte dieses Phänomen. Die meiste Zeit sind die Menschen voller Zuversicht. Sie investieren und schaffen Arbeitsplätze. Sie leihen sich dafür Geld und die Kapitalgeber sehen keine Risiken. Dann kommt plötzlich ein Gerücht auf, das Land könne zahlungs­unfähig sein. Die Kapitalgeber werden nervös und ziehen ihr Geld ab. Durch den Geld­abfluss können Unternehmen nicht mehr investieren. Die Arbeitslosigkeit steigt, das Gerücht wird zu einer self fullfilling prophecy und plötzlich kommt alles zum Stillstand.

Das war das Muster in allen Krisenländern. Nach der Ankündigung Mario Draghis, alles Notwendige zu tun, kehrte Vertrauen zurück. Die Kapitalflucht hörte auf und die Wirt­schaft fing wieder langsam an zu laufen. Leider aufgrund einseitiger Sparpolitik zu lang­sam, um die verheerende Arbeitslosigkeit in den Krisenländern abzubauen. Radikale Parteien haben in solchen Situationen leichtes Spiel.

Als in Griechenland eine solche Partei an die Macht kam und mit ihrem Gehabe ganz Europa gegen sich aufbrachte, fingen einflussreiche Ökonomen und Politiker an, von Grexit zu reden und wie zu erwarten kam es wieder zum sudden stop. Jeder wollte seine Euros in Sicherheit bringen. Niemand war mehr bereit, einen Cent zu investieren, weil zu befürchten war, dass die Investition nur noch wertlose Drachmen wert sein könnte.

Kein Wunder, dass von Woche zu Woche das Rettungspaket immer größer wurde. Die Wirtschaft in Griechenland war zum Stillstand gekommen. Unzählige Unternehmen wurden zahlungsunfähig. Die Banken mussten Kredite in zweistelliger Milliarden Höhe abschreiben, viel mehr als sie verkraften können, und die Staatseinnahmen brachen ein.

Nachdem der normalerweise auf strikte Vertragserfüllung pochende und einflussreichste Finanzminister Europas den – nicht wirklich freiwilligen – Euroaustritt eines Mitglieds­staates zu einem legalen und salonfähigen Vorgang erklärte, hat sich die Eurozone funda­mental verändert. Leider nicht zum Guten. Jetzt ist der Euro auf einmal reversibel. Jeder­zeit kann es zum Gerücht kommen, dass ein Land aus dem Euro austreten müsse. Schnell kann daraus eine massive Vertrauenskrise verbunden mit Kapital­flucht und sudden stop entstehen. Wie in Griechenland sichtbar, kann der Schaden extrem groß werden, soziales Elend verur­sachen und das politische Klima nachhaltig vergiften.

Wenn das größte Mitgliedsland nicht den Euroaustritt für rechtens erklärt hätte, wäre der Schutzschirm der EZB wahrscheinlich ausreichend gewesen. Jetzt braucht es mehr als das Versprechen von Mario Draghi. Daher wird es Zeit, den Vorschlag des Sachverstän­digenrates eines Altschuldentilgungsfonds erneut ernsthaft zu betrachten. Der Sachver­stän­digenrat hatte sich während der Eurokrise für einen solchen Fonds ausgesprochen, damit die Märkte ein Land nicht in die Zahlungsunfähigkeit spekulieren können.

Vergemeinschaftung von Schulden ruft böse Reflexe in Deutschland hervor. Viele den­ken, dass deutsche Steuerzahler dann für die Schulden aller anderen aufkommen müssten. Das ist aber keineswegs der Fall. In den USA haften die Bürger aus Texas auch nicht für die Schulden Kaliforniens. Als in den USA die Schulden der Mitgliedsstaaten vergemein­schaftet wurden, erhielt Washington im Gegenzug das Recht zu eigenen Ein­nahmen. Damals waren dies Außenzölle. Vielleicht findet man auch heute noch eine ähn­liche Einnahme, die Brüssel direkt erheben kann. Zum Beispiel eine Abgabe auf importierte Güter, die besonders umweltschädlich sind. Oder man gibt Brüssel das Recht eine Steuer direkt zu erheben. Die Körperschaftsteuer würde sich anbieten. Die Einnahmen aus dieser Steuer sind relativ niedrig, aber hoch genug, um den Schuldendienst zu tragen. Momen­tan ist es den Unternehmen leicht möglich, die unterschiedlichen Steuersysteme in Europa auszunutzen, um ihre Steuerlast zu minimieren. Eine einheitliche Steuer auf sämtliche Erträge in der EU würde diese Steuertricks deutlich erschweren.

Die Körperschaftssteuer ist zudem recht konjunkturanfällig. Unternehmensgewinne schwan­ken wesentlich mehr als Einkommen oder Konsum. Wenn diese Steuer für alle Länder in Brüssel erhoben würde und daraus der Schuldendienst geleistet würde, ergäbe sich so ein wunderbarer automatischer Stabilisator. Mit solchen Stabilisatoren ist ein Konjunkturzyklus wesentlich weniger gravierend.

Am besten würde man alle Staatschulden, auch die der Länder und Gemeinden auf die Euroebene heben. Aus Staaten mit hohen Schulden bliebe die gesamte Körperschaft­steuer in Brüssel, Staaten mit geringen Schulden könnte Brüssel einen dementsprechend großen Teil der Steuer zurück überweisen.

Manche wollen nur einen Teil der Schulden nach Brüssel übertragen, damit die angeb­liche Marktdisziplin dafür sorgen kann, dass die Mitgliedsstaaten sich nicht übermäßig verschulden. Sie verdrängen, dass es bis zur Eurokrise keine Risikoprämien innerhalb der Eurozone gab. Das heißt, Griechenland zahlte genauso niedrige Zinsen wie Deutschland, obwohl die Verträge ein klares Bail-Out Verbot enthielten. Für Investoren sind Staats­schulden fast wie Bargeld. Über die Bonität dieser Schuldtitel denken sie nicht nach und werden sie nicht nachden­ken. In guten Zeiten investieren sie blind und in schlechten laufen sie panisch davon. Daher macht es keinen Sinn bei Staatsschulden von Markt­disziplin zu träumen. Stattdes­sen sollten wir uns auch hier bei den USA ein Vorbild nehmen und den Mitgliedsstaaten verbieten neue Schulden aufzunehmen.

Keynesianisch geprägte Ökonomen und Politiker sind gegen ein Schuldenverbot, weil es immer wieder Situationen gibt, in denen der Staat die Konjunktur stimulieren muss. Das ist absolut richtig. Aber muss Konjunkturpolitik auf Ebene der Mitgliedsstaaten erfolgen? Wenn Brüssel am Tropf der Körperschaftssteuereinnahmen hängt, hat es ein großes Eigeninteresse dafür zu sorgen, dass die Unternehmen überall in Europa gedeihen und Steuern zahlen können. Brüssel sollte daher die Möglichkeit zur Konjunkturpolitik gegeben werden.

Wer nun Sorge hat, dass in Brüssel ein Moloch entsteht, der aufgrund von Konjunktur­politik und deficit spending am Ende untragbar hohe Schulden anhäufen wird, kann sich vielleicht mit der Idee von Fiskalräten anfreunden. So wie wir die Geldpolitik einer unab­hängigen Zentralbank anvertraut haben, könnte man die europäische Konjunktur­politik einer genauso quali­fiziert besetzen unabhängigen Institution überlassen. Sie hätte das Recht zu entscheiden, in guten Zeiten mit den sprudelnden Steuereinnahmen schneller als geplant Schulden zu tilgen und in schlechten Zeiten neue Schulden aufzunehmen, vorausgesetzt, dass durchschnittlich über den Konjunkturzyklus hinweg der Haushalt ausgeglichen sein muss. Dafür müsste sie sich dem Europaparlament verantworten.

Es lohnt sich über derartige Reformen nachzudenken. Die Zeit unserer Regierungschefs und Finanzminister könnte besser genutzt werden, als jahrelang über Rettungspakete zu verhandeln.

» Hier gibt es die Ideen der Grünen Zukunftswerkstatt Europa

 


 

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