In Spanien geht eine große Bank pleite und die Kommentatoren überschlagen sich vor Lob: „Ein Festtag für die Europäische Finanzarchitektur“ bescheinigt der Regulierungs­experte Professor Jan-Pieter Krahnen. Die Financial Times schreibt Europe reaches mastery on banks. Elke König, Chefin der erst von zwei Jahren gegrün­deten europäischen Banken­ab­wicklungs­be­hörde, gelingt mit der spanischen Großbank Banco Popular ihr Meisterstück. Angesichts der jüngsten Staatshilfen für italienische Banken hätte noch vor einer Woche niemand geglaubt, dass so ein Coup möglich sein würde.

Aus Deutschland betrachtet ist Spanien weit weg. Wer hat hier schon einmal von Banco Popular gehört? Viele mögen denken, es handele sich um eine kleine spanische Volksbank. Weit gefehlt. Banco Popular ist doppelt so groß wie die HSH Nordbank und spielt in einer Liga mit der Postbank oder mit der Hessischen Landesbank. Man muss sich nur einmal vorstellen, bei der Postbank würden innerhalb von zwei Tagen so viele Kunden ihre Gelder abziehen, dass sie von der Europäischen Bankenaufsicht als Pleitebank einge­stuft wird. Jeder hätte doch erwartet, dass wieder der Staat einspringt und die Bank rettet.

Nichts dergleichen ist passiert. Banco Popular wurde abgewickelt, ohne dass die Steuerzahler auch nur einen einzigen Euro locker machen mussten. Keine direkte Kapitalspritze, nicht einmal eine Garantie war nötig. Wie sehr kontrastiert das doch mit den 392 Milliarden Euro, die vor wenigen Jahren allein in Deutschland für Garantien, Kapitalzufuhr und für die Übernahme von Giftpapieren maroder Banken aufgewandt werden mussten.

Und was haben sich die Kommentatoren den Mund zerrissen über den europäischen Banken­abwicklungsmechanismus, dessen Struktur und Entscheidungs­wege so byzantinisch aus­sehen, dass man mit wochenlangem Chaos gerechnet hatte, wenn man nicht gar Entschei­dungen ganz für unmöglich gehalten hatte. Alles Schwarzmalerei: Weniger als einen Tag haben die Behörden für die komplette Abwicklung gebraucht, für die Entschei­dungsfindung, Zustimmung aller relevanten Gremien, Quanti­fi­zierung der Über­schuldung, Restrukturierung der Bilanz mit vollständigem Bail-in der Aktionäre und Hybridkapitalgeber und schließlich sogar den Verkauf der Bank ohne staatliche Garantien.

Völlig undenkbar in der letzten Bankenkrise. Und am nächsten Morgen bei Bekanntgabe bricht keinerlei Panik auf den Finanzmärkten aus. Ganz im Gegenteil, die Aktienkurse der europäischen Banken gehen nach oben. Wenn das keine Meister­leistung ist, was dann? Professor Krahnen hat Recht: Ein Festtag für Europa. Banco Popular nährt die Hoffnung, dass vielleicht tatsächlich das Versprechen eingehalten werden könnte, nie wieder Steuer­gelder für Banken auszugeben. Hut ab für Elke König und ihr Team!

Dennoch hinterlässt die Abwicklung von Banco Popular auch einen Beigeschmack. Die Europäische Bankenaufsicht muss sich fragen lassen, warum es zu einer Panik bei Banco Popular kommen konnte und wie sich innerhalb von wenigen Wochen Vermögens­gegen­stände im Wert von etwa 8 Milliarden Euro in Luft auflösen konnten. Erst vor einem Monat, am 5. Mai hat die Bank ihren Quartalsbericht vorgelegt. Dort wird ein regulatorisches Eigenkapital von 6,1 Milliarden Euro ausgewiesen. Zusätzlich gibt es 2 Milliarden Euro Hybridkapital. Sowohl Eigenkapital wie Hybridkapital müssen aber von der europäischen Abwicklungsbehörde vollständig ausgelöscht werden, damit Santander seinen Rivalen für einen Euro übernehmen kann.

Wenn Banco Popular seine Vermögensgegenstände tatsächlich um 8 Milliarden Euro zu hoch bewertet hatte, haben die Vorstände dann die Investoren falsch informiert? Und wie konnte die Europäische Bankenaufsicht eine derart große Abweichung übersehen? Schließlich wurde im letzten Jahr ein umfassender Stresstest auch bei Banco Popular durchgeführt. Dort wurde der Bank und den Investoren bestätigt, dass Banco Popular bei einer normalen Entwicklung der spanischen Wirtschaft völlig ausreichend kapitalisiert sei, und selbst in einem adversen Stresszenario noch 6,6% Eigenkapital aufweise. Nun hat sich in Spanien die Wirtschaft aber besser entwickelt als erwartet. Und trotzdem weist die Bank plötzlich ein negatives Eigen­kapital aus. Wie kann das sein? Sind Stresstests immer noch nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben sind? Oder hat die Bankenaufsicht bei Banco Popular geschlafen?

In ihren öffentlichen Kommentaren hat die EZB erklärt, dass es sich bei Banco Popular um ein Liquiditätsproblem gehandelt habe, um einen panikartigen bank run. Das würde die Bankenaufsicht aus der Schusslinie nehmen. Eine irrationale Bankenpanik lässt sich in der Tat nicht in einem Stresstest vorher­sagen. Allenfalls waren die Modelle für die Mindestliqui­ditätsquote (LCR) fehlerhaft. Die Banken­aufsicht könnte zu großzügig gewesen sein, was die Treue der Kunden angeht. Das ist ein zentrales Problem bei den Liquiditätsanforderungen für Banken. Nur mit diesen Kunden­treue-Modellen können Banken die regula­torischen Anfor­derungen erfüllen. Vielleicht muss die EZB also aus Banco Popular lernen und die Modell­annahmen für Kundentreue für alle Banken in Europa revidieren.

Wahrscheinlicher aber ist, dass Banco Popular nicht nur Liquititätsschwierigkeiten hatte. Solvente Banken dürfen sich bei der EZB frisches Geld ausleihen und normalerweise lässt man sie nicht wegen temporärer Liquiditätsprobleme Pleite gehen. Und wenn die Banco Popular wirklich solvent gewesen wäre, hätte Santander sie nicht für einen Euro kaufen dürfen, obwohl es vorher einen Schuldenschnitt um 2 Milliarden Euro gegeben hat.

Entweder hat also doch die Bankenaufsicht geschlafen oder Santander durfte Banco Popular zu billig kaufen. Wenn man sich den Börsenkurs von Santander ansieht, scheinen die Märkte davon auszugehen, dass Santander tatsächlich einen sehr guten Deal gemacht hat. Der Aktienkurs ist zwei Tage nach der Übernahme um 5% höher als am Tag vor der Übernahme und das, obwohl Santander eine große Kapitalerhöhung angekündigt hat. Wenn Banco Popular zum fairen Preis verkauft worden wäre, hätte der Börsenkurs wegen der Kapital­erhöhung eigentlich sinken müssen.

Man darf auf den weiteren Gang der Dinge gespannt sein. Die Bankenabwicklungsgesetze in Europa schreiben vor, dass kein Gläubiger durch eine Abwicklung schlechter gestellt werden darf als durch ein normales Konkursverfahren (no creditor worse off Prinzip). Es muss jetzt in einem Gutachten berechnet werden, was die Bank im Konkursfall wert gewesen wäre. Wenn sich herausstellen sollte, dass Banco Popular nicht überschuldet war, dann haben die Gläubiger ein Recht auf Entschä­di­gung durch den Staat.

Angesichts der Freude über die gelungene Abwicklung geht derzeit die Kritik an der Aufsicht unter. Es wird sich aber erst noch zeigen, ob die Abwicklung wirklich ohne Steuergelder aus­kom­men wird und ob Banco Popular nicht doch zu preiswert verkauft wurde. Zur Ehren­ret­tung von Frau König muss man allerdings sagen, dass jede andere Alternative, sprich der Verzicht auf einen Verkauf und die Fortführung unter staatlicher Regie angesichts des bank runs wahrscheinlich wesentlich teurer geworden wäre. Wenn tatsächlich im Nachhinein die Gläubiger entschädigt werden, wäre das nicht ein Fehler der Abwicklung, sondern ein Fehler der Gesetzgebung. Das no creditor worse off  Prinzip macht keinen Sinn. Es ist das trojanische Pferd in der Bankenabwicklung, mit dem sich die Gläubiger unter Umständen doch wieder ihr Geld vom Staat zurückholen können. Schließlich muss die Abwicklungsbehörde beweisen, dass die Gläubiger im Konkurs nicht doch ihr  Geld zurückbekommen hätten. Diesen Nachweis zu führen wird nicht leicht.  Die Bankenaufsicht hatte der Bank noch kurz vor der Pleite bestätigt, dass sie über ausreichend Kapital verfügt. Das bedeutet im Klartext, dass die Bank über deutlich mehr Vermögen als Schulden verfügt, was wiederum ein darauf hindeutet, dass die Gläubiger in einem Konkurs ihr Geld zurückbekommen hätten, während sie bei der Abwicklung ihr Geld verloren haben.

Dieser Beitrag ist in leicht gekürzter Form als Gastbeitrag von mir in der Börsenzeitung vom 17.6.2017 erschienen.


 

 

 

 

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