In der Eurokrise drohte ein Land nach dem nächsten den Zugang zum Kapitalmarkt zu verlieren, sprich Pleite zu gehen. Stark verkürzt gesprochen lag dies in Griechenland an einer überhöhten Staatsverschuldung und in anderen Ländern an einer self-fullfillingprophecy, die durch panikartige Kapitalflucht ausgelöst wurdeWeil die wirklich guten Lösungen dieser Probleme politisch nicht durchsetzbar erscheinen, werden derzeit verschiedene kreative Ideen aus dem Reich des financial engineerings diskutiert, um Anreize gegen zu hohe Staatsverschuldung zu schaffen und um panikartige Kapitalflucht von Krisenländern in safe-haven Länder zu erschweren. So kreativ die Lösungen auch sind, sie werden weder zu hohe Staatsverschuldung noch erneute Panik an den Kapitalmärkten verhindern.

In diesem Blogbeitrag erläutere ich die u.a. von Clemens Fuest erfundenen accountability bondsIn einen späteren Blogbeitrag werde ich Markus Brunnermeiers Idee der Esbies (auch SBBS genannt) besprechen. Beides sind zentrale Konzepte in dem jüngsten Vorschlag von vierzehn prominenten deutsch-französischen Ökonomen zur Versöhnung von Risikoteilung und Marktdisziplin bei der Eurozonenreform.

Accountability bonds sollen für mehr Marktdisziplin bei der Staatsverschuldung sorgen. Gemäß ihrer Protagonisten funktioniert Marktdisziplin derzeit nicht, weil eine Staatspleite zu einer gewaltigen Wirtschaftskrise führen würde und die Marktteilnehmer daher mit einem europäischen bail-out rechnen. (Eine grundsätzliche Diskussion des Konzeptes Marktdisziplin bei Staatsanleihen von mir gibt es hier). Um glaubwürdiger einen Schuldenschnitt androhen zu können, schlagen Clemens Fuest und Johannes Becker in ihren von mir hier besprochenen Buch Odysseuskomplex eine Vielzahl von Maßnahmen vor: unter anderem eine neue Klasse von Staatsanleihen, sogenannte accoun­tability bonds, also auf deutsch Verantwortungs-Anleihen.

Accountability bonds sind nachrangige Staatsanleihen. Nachrang ist eine spezielle Struktur­maß­nahme in der Finanzierung, die eigentlich aus der Welt hochverschuldeter Unternehmen stammt. Wenn Unternehmen Geld benötigen, wird dieses Kapital immer in zwei Klassen strukturiert: Eigen- und Fremdkapital. Die Strukturierung soll Fremdkapital für Gläubiger möglichst risikoarm machen. Umso mehr Eigenkapital vorhanden ist, umso weniger krisenanfällig ist das Unternehmen und umso sicherer ist das Fremdkapital. Das hat zwei Gründe: zum einen wird Eigenkapital weder verzinst noch getilgt. Nur wenn es dem Unternehmen gut geht, schüttet es Dividenden aus. So überstehen Unternehmen auch schwerere Konjunkturkrisen. Der zweite Grund liegt an der Haftungskaskade im Verlustfall. Verluste werden mit dem Eigenkapital verrechnet. Nur wenn die Verluste so groß sind, dass sie das Eigenkapital übersteigen, muss das Fremdkapital einen Schuldenschnitt hinnehmen.

Bei hochverschuldeten Unternehmen hat man noch eine dritte Klasse eingeführt: nach­ran­giges Fremdkapital.  Wenn es dem Unternehmen schlecht geht, wird zuerst das normale Fremdkapital bedient, dann das nachrangige Fremdkapital und erst zum Schluss das Eigenkapital. Die Verzinsung von nachrangigem Fremdkapital liegt daher auch zwischen normalem Fremdkapital und Eigenkapital.

Bei Staaten ist diese Form der strukturierten Finanzierung noch nicht üblich. Inzwischen gibt es jedoch einige Vorschläge dieser Art.

Eigenkapitalcharakter hätten sogenannte GDP-linked-bonds. Das sind Anleihen, deren Zin­sen und Rückzahlung an die wirtschaftliche Entwick­lung des Landes geknüpft sind. Sie würden die Staatsverschuldung deutlich weniger anfällig für Wirtschaftskrisen machen und wären die sinnvollste Lösung für ein hochverschuldetes Land wie Griechenland. Wenn Zins und Tilgung an die wirtschaftliche Entwicklung geknüpft wären, käme Griechenland auch mit der derzeitigen extrem hohen Staatsverschuldung klar.

Clemens Fuest schlägt vor, die Staatsverschuldung in normale Anleihen und accountability bonds aufzuteilen. Accountability bonds hätten keinen Eigenkapitalcharakter. Sie wären nachrangiges Fremdkapital. Investoren dieser Anleihen müssten zunächst ihr ganzes Kapital ver­lieren, bevor normale Staatsanleihen von einem Schuldenschnitt betroffen wären. Accountability bonds tragen in dem Vorschlag von Clemens Fuest also das Hauptrisiko einer Staatspleite.

Auch das deutsch-französische Ökonomenteam macht sich für diese neue Form der Staatsanleihen stark. In einer Krise würden sich diese Anleihen besonders gut für einen Schuldenschnitt eignen. Anstatt alle Staatsschulden einem Schuldenschnitt zu unterziehen und so das gesamte Finanzsystem durch Verluste zu erschüttern, wäre nur ein spezieller Teil der Staatsschulden betroffen: der Teil, der von besonders risikoaffinen Investoren und nur in geringem Umfang von Banken gehalten würde. Aufgrund der so gegebenen höheren Glaubwürdigkeit eines Schuldenschnittes hätten accountability bonds eine besonders disziplinierende Wirkung auf stark verschuldete Staaten: ihr Zinssatz würde deutlich ansteigen, sobald eine Staatspleite möglich erscheint.

Clemens Fuest und seine Kollegen weisen auf zwei Vorteile dieser Anleihen hin: zum einen würden sie mangelnde fiskalische Disziplin automatisch sanktionieren. Kontroverse politische Beschlüsse wären nicht notwendig. Sobald Staaten die Fiskalregeln missachten, würde die zusätzliche Schuldenaufnahme als accountability bond erfolgen. Diese Strukturierung der Schulden wäre sogar ohne Zustimmung des Landes allein durch die EZB und die Finanzaufsicht möglich. Zum anderen wären die Verschuldungsregeln nicht mehr so rigide. Wenn Staaten sich übermäßig verschulden wollen und dafür risikobereite Investoren finden, wäre das möglich.

Ich sehe zwei grundlegende Probleme dieser Nachranganleihen: zum einen werden sie hochgradig volatil sein und besonders anfällig für Panik an Finanzmärkten. Zum anderen dürfte ihre disziplinierende Wirkung begrenzt sein.

Nachranganleihen sind so volatil, weil sie hochgradig gehebelt sind. Die Wucht des Hebels hängt an dem Verhältnis normaler Schulden zu accountability bonds. Umso geringer der Anteil der Nachranganleihen an der Gesamtverschuldung, umso größer der Hebel und umso größer das Risiko und die Volatilität. Das liegt daran, dass bei einer typischen Staatspleite die Investoren nur etwa ein Drittel ihres Kapitals verlieren. Bei einem Gerücht über eine mögliche Pleite würden die Kurse normaler Anleihen also um vielleicht 20-30% einbrechen. Da Nachranganleihen aber selbst bei einem kleinen Schuldenschnitt einen Totalverlust erleiden, würden deren Kurse bei einem Gerücht ins Bodenlose stürzen. Diese hochgradige Volatilität würde bei accounta­bility bonds noch verschärft, da diese nicht nur bei einer echten Staatspleite aus­fallen sollen, sondern auch bei Überschreiten gewisser Schwellenwerte in der Verschuldung oder bei Inanspruchnahme eines ESM-Hilfsprogramms.

Accountability bonds ähneln den hybriden Kapitalinstrumenten, die sich hochverschuldete Banken ausgedacht haben, um echtes Eigenkapital zu sparen. Fuest und Heinemann vergleichen sie auch explizit mit sogenannten coco bonds, den hoch riskante nachrangige Anleihen, die Banken anstelle von Eigenkapital ausgeben dürfen. Auch coco bonds haben sich als extrem volatil herausgestellt. Als zum Beispiel im Herbst 2015 Gerüchte aufkamen, dass die Deutsche Bank Probleme haben könnte, ist ihr Preis innerhalb kürzester Zeit um etwa 30% eingebrochen. Und nicht nur das: wie zuvor in der Finanzkrise hat das Problem der Deutschen Bank mit seinen cocos sofort den ganzen Markt für cocos angesteckt. Das gleiche Phänomen wäre wohl für accounta­bility bonds zu erwarten. Bei Gerüchten über Probleme eines Landes dürfte der gesamte Markt für diese Anleihen einbrechen.

Im Gegenzug ergibt sich durch die Nach­ranganleihen ein positiver externer Effekt für normale Staatsan­leihen: sie sind weniger ausfallgefährdet und zwar um so weniger, um so mehr Nachrangdarlehen es gibt. Dadurch wird der Zinssatz sinken, den Staaten für ihre normalen Schulden zahlen. Gemäß Kapitalmarkt­theorie verändert sich die gesamte Zinslast durch die Strukturierung der Finanzierung nicht. Das heißt, die höheren Zinsen, die ein Land aufgrund von Nachranganleihen zahlen muss, werden durch die niedrigeren Zinsen auf normale Anleihen vollständig ausgeglichen.

Fazit: Höheres Eigenkapital wirkt stabilisierend. Nachranganleihen hingegen sind ein fauler Kompromiss aus der Welt des financial engineerings. Die Vola­tilität und die Ansteckungsgefahr für den gesamten Markt ist zu hoch. Instrumente, die so sehr von Marktstimmungen abhängen, eignen sich nicht für Staatsanleihen. Sie wären dadurch auch kein geeignetes Instrument der Haushaltsdisziplin. In Zeiten des Überschwangs auf Finanzmärkten, also wie vor der Finanzkrise und wie auch heute, gibt es leider sowieso keine Marktdisziplin. Aber selbst in Zeiten ohne Überschwang hätten accountability bonds keine disziplinierende Wirkung, da durch ihre Einführung die Zinsen der normalen Staatsanleihen sinken würden. In Krisenzeiten wären sie jedoch schnell anfällig für Panik und würden so die Krise leicht verschärfen.

Accountability, sprich Verantwortung, ist ja eigentlich eine sehr gute Sache. Vielleicht könnte man die Idee von Clemens Fuest noch einen Schritt weiter denken: was wäre, wenn alle Regeln für accountability bonds gleich blieben, die Nachranganleihen aber grundsätzlich nicht von institutionellen Anlegern gekauft werden dürften? Wenn nur noch die eigenen Staatsbürger diese hoch riskanten Anleihen kaufen dürften, hätten sie Eigenkapitalcharakter: Verantwortung und Haftung wären in einer Hand. Das dürfte wirklich disziplinierend und vor allem auch stabilisierend wirken. Staaten würden sich nur noch übermäßig verschulden, wenn sie ihre eigenen Bürger von der Sinnhaftigkeit überzeugen könnten. Und es gäbe nur noch dann eine Staatspleite, wenn zuerst die Eigentümer der accountability bonds, sprich die wohlhabenden Bürger des eigenen Staates ihr Vermögen verloren hätten. Mit einer solchen Struktur dürfte das Risiko einer Staatspleite drastisch sinken.

Wenn ich Zeit finde, werde ich versuchen, diese Idee zu Ende zu denken und hier zu besprechen.


 

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