Lebensversicherer wollen anscheinend endlich wieder mehr Gewinne ausweisen können. Gemäß Herbert Fromme heute morgen in der Süddeutschen, will die BaFin dem Drängen der übermächtigen Versicherungslobby in Deutschland nachgeben und die Zinszusatzreserve aufweichen. Wahrscheinlich wird es wie üblich in der Versicherungsgesetzgebung keinen Widerstand geben, weil niemand auch nur ansatzweise versteht, worum es geht.

Die Zinszusatzreserve ist ein Instrument, mit dem verhindert werden soll, dass Versicherer ihre Verpflichtungen zu niedrig bilanzieren. Wenn man die wahre Höhe seiner Schulden verschweigt, weist man zu hohe Gewinne und ein zu hohes Eigenkapital aus. Als Eigentümer kann man sich dann ungehindert Gewinne ausschütten. Auch Geldgeber werden in die Irre geleitet: diese vertrauen ihr Geld dem Unternehmen an, ohne zu wissen, wie schlecht es dem Unternehmen in Wirklichkeit geht.

Lebensversicherer gehen hohe Schulden bei ihren Kunden ein. Diese vertrauen ihnen Geld über Jahrzehnte an. Dafür versprechen die Unternehmen eine Mindestrendite. Es gibt also einen definierten Auszahlungsbetrag, der in vielen Jahren fällig ist. Anders aber als ein klassischer Kredit, der mit der vollen Summe bilanziert werden muss, darf man bei Versicherungsverträgen den zukünftig zu zahlenden Betrag “abzinsen”. D.h. man sagt sich, dass man heute Kapital  beiseite legen könnte, um die Schuld mit Zins und Zinseszins auf dieses Kapital zu begleichen. Umso höher der Zinssatz, umso weniger Kapital muss man heute fiktiv beiseite legen. Dieses fiktive Kapital nennt man Rückstellung. Eine Rückstellung wird auf der Passivseite der Bilanz, also als eine Schuld bilanziert.

Bei den über Jahrzehnte laufenden Verträgen von Lebensversicherern macht die Höhe des Zinssatzes einen gewaltigen Unterschied. Bei einem Zins von 4% bräuchte man heute nur ein Kapital von 31 Euro, um in dreißig Jahren eine Schuld von 100 zu begleichen. Bei einem Zins von 1% müsste man hingegen heute 71 Euro zurücklegen.

Nun gibt es im deutschen Recht die absurde Vorschrift, dass Lebensversicherer ihre Verpflichtungen anhand des von ihnen selbst gewählten Garantiezinses abzinsen dürfen. Umso höher der Garantiezins, umso geringer also die Rückstellung. Diese Regelung ist entstanden zu Zeiten, als man noch davon träumte, dass Zinsen für immer hoch sein müssten und zwar deutlich höher als die Garantiezinsen der Versicherer. Heute aber bekommt man für eine dreißig jährige Staatsanleihe nur noch 1% Zinsen. Die Garantiezinsen der Versicherer gehen jedoch bis auf 4%. Es ist also eindeutig, dass die Unternehmen drastisch zu niedrige Rückstellungen gebildet haben.

Anstatt die Unternehmen zu zwingen, ihre Rückstellungen anhand des heutigen Marktzinses zu bilanzieren, hat man 2011 das komplizierte und für Laien völlig unverständliche Instrument der Zinszusatzreserve erfunden. Wie so oft in der Regulierung hofft man gern auf bessere Zeiten und macht daher halbherzige Maßnahmen, weil die volle Wahrheit die Unternehmen ja überfordern würde. Dann müssten sie heute schon drastische Maßnahmen einleiten: Dividendensperre, massive Kürzung der Kosten, Streichung der Überschüsse, Verzinsung neuer Kundenverträge auf heutigem Zinsniveau, etc. Diesen Stress wollte und will man den Unternehmen ersparen, schließlich könnte die Niedrigzinsphase ja bald zu Ende sein. Heute, sechs Jahre später ist von einem baldigen Ende der Niedrigzinsphase nichts zu sehen. Anstatt nun endlich die Unternehmen mit voller Härte zu zwingen, ihre Verpflichtungen in voller Höhe auszuweisen, will man jetzt sogar die halbherzige Zinszusatzreserve noch weiter aufweichen.

Die Zinszusatzreserve ist aus zwei Gründen halbherzig:

  • anstatt den heutigen Marktzins nutzt sie einen gleitenden Durchschnitt über die letzten zehn Jahre. Zum 31.12.2016 betrug dieser 2,54%, also deutlich mehr als die heute erzielbaren ca. 1% für sehr langfristige Staatsanleihen
  • Der Zins von 2,54% wird nur über 15 Jahre gerechnet. Danach geht man davon aus, dass die Zinsen sich wieder voll erholt haben und erlaubt den Unternehmen ihre Verpflichtungen mit dem Garantiezins (also bis zu 4%) abzuzinsen. Auch dadurch wird die Verpflichtung viel zu gering ausgewiesen. Die Mehrheit der Marktteilnehmer geht nämlich davon aus, dass die Zinsen auch in 15 Jahren noch niedrig sein werden, sonst würde eine 30 jährige Bundesanleihe heute nicht nur 1% Zinsen abwerfen.

Die Versicherungslobby beklagt sich über die Zinszusatzreserve, weil sie diese, wie oben geschildert, zu den notwendigen harten Maßnahmen zwingt. Da man nicht zugeben möchte, dass man überschuldet ist, oder dass man nicht die Kraft hat, Kosten einzusparen, um z.B. überdimensionierte Vertriebsmannschaft zu restrukturieren, behauptet die Lobby, dass die Unternehmen gezwungen wären, ihre stillen Reserven aufzulösen.

Es ist zwar richtig, dass niedrige Zinsen zu hohen stillen Reserven führen. Langlaufende festverzinsliche Wertpapiere mit einem hohen Zins steigen deutlich im Wert, wenn die Zinsen sinken. Wenn die Versicherer diese Papiere heute verkaufen, realisieren sie Kursgewinne. Diese Gewinne nutzen sie, um damit die Zinszusatzreserve zu dotieren. Gemäß der Lobby sei das unsinnig, weil man das frei gewordene Geld ja zu den heutigen niedrigen Zinsen neu anlegen müsse.

Sie verschweigen dabei aber, dass die hohen Zinsen auf ihre alten Wertpapiere zu hohen Kapitalerträgen führen. Diese Kapitalerträge können sie nutzen, um ihren Kunden deutlich höhere Zinsen als die Garantieverzinsung anzubieten. Damit können sie wunderbar ihr Neugeschäft stimulieren, weil sie ihren neuen Kunden höhere Zinsen zahlen, als normalerweise heute am Markt erzielbar. Außerdem dürfen sie ihre Überschüsse natürlich auch nutzen, um damit Dividenden für ihre Eigentümer zu zahlen. Nur wenn die stillen Reserven auf der Aktivseite in harte Zinszusatzreserve umgewandelt sind, ist es ausgeschlossen, dass die Eigentümer in die Kasse ihrer Unternehmen greifen. Die Zinszusatzreserve vernichtet also keine stillen Reserven. Sie bucht sie lediglich von der Aktivseite der Bilanz auf die Passivseite um, macht sie transparent und entzieht sie dem Zugriff der Unternehmen und ihrer Eigentümer.

Sollte es Versicherer geben, die tatsächlich nicht in der Lage sein sollten, die Zinszusatzreserve zu dotieren, haben wir ein ganz anderes Problem. Wie oben geschildert, sind die wahren Verpflichtungen der Unternehmen deutlich höher als die halbherzige Zinszusatzreserve. Wenn sie also schon dafür nicht ausreichend Vermögen haben, werden sie bei anhaltendem Niedrigzins niemals die Verpflichtungen ihrer Kunden erfüllen können. Diese Unternehmen müssten dann heute schon mit voller Härte saniert werden und dürften nicht länger verschont werden.

Auch manche Verbraucherschützer halten die Zinszusatzreserve für ungerecht. Sie sehen nur, dass dadurch die Überschüsse geschmälert werden. Die Versicherten bekommen aber weiterhin die ihnen garantierte Verzinsung gutgeschrieben. Dass die Überschüsse in einem Niedrigzinsumfeld geringer werden oder ganz ausfallen, kann aber nicht vermieden werden. Wichtig ist es, ein Instrument zu schaffen, mit dem auch die Kapitaleigner geringere Gewinne zugewiesen bekommen und nicht mehr ungehindert in die Kasse des Unternehmens greifen dürfen. Dies ist mit der Zinszusatzreserve (halbherzig) gewährleistet. Im Gegensatz zu vielen anderen Rettungsmaßnahmen der Politik sind bei diesem Instrument also nicht einseitig die Verbraucher geschädigt, sondern auch die Eigentümer.

 

 

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