Niedersachsen und die Gewerkschaften müssen bei VW endlich durchgreifen. Sie haben im Aufsichtsrat eine Mehrheit und könnten verhindern, dass sich die Vorstände 63 Millionen Euro Boni gewähren und sie könnten für einen personellen Neuanfang sorgen. Weil die Aufsichtsräte ihren inneren Kompass verloren haben, muss der Staat nachhelfen.

Dazu habe ich einen Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht. Den Artikel im Originallayout der Süddeutsche Zeitung  gibt es hier als PDF: » SZ_Gastbeitrag.

Und hier als Fließtext:

Mehr Härte, bitte

Wer wie VW 15 Milliarden Euro Gewinn macht und betrügt, muss auch mit zig Milliarden Euro Strafen rechnen.

Harte Worte, weiche Landung: Das ist das Ergebnis der VW-Hauptversammlung, auf der sich das Management zwar Kritik stellen musste – sonst aber nicht viel zu befürchten hatte. Die Mehrheitsgesellschafter Piëch und Porsche stehen zu ihren Vorständen. Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch ist trotz manifestem Interessenskonflikt weiter im Amt. Der Vorstand genehmigt sich 63,2 Millionen Euro Bonus – und wird entlastet, obwohl die sonst so zurückhaltende Aufsichtsbehörde BaFin sämtliche Mitglieder wegen Marktmanipulation angezeigt hat.

Der Fall zeigt eine klaffende Lücke im Gesetz: Ausgerechnet in der größten Krise der Unternehmensgeschichte reguliert sich das System VW nicht selbst, weil den Beteiligten in Wolfsburg offenbar der innere Kompass verloren gegangen ist. Damit muss der Staat die Richtung vorgeben – mit einem intelligenten Unternehmensstrafrecht.

In vielen Ländern entfalten Unternehmensstrafen abschreckende Wirkung. Wenn etwa in England Banken Zinssätze zu ihren Gunsten manipulieren, müssen sie dafür Milliarden zahlen. Wenn VW die Abgaswerte frisiert und die Gesundheit der Bevölkerung gefährdet, kennen die USA keine Gnade – Deutschland schon. Bußgelder für Unternehmen sind hierzulande auf 10 Millionen Euro gedeckelt. Das heißt: Ein Betrug kann noch so schwer sein, mit mehr Strafe muss ein Konzern nicht rechnen. Der Wolfsburger Autobauer hat 2014 knapp 15 Milliarden Euro Gewinn erwirtschaftet. 10 Millionen Euro Bußgeld sind so, als käme ein Bankräuber mit einem 15 Euro-Knöllchen davon. Kein Wunder, dass deutsche Unternehmen mehr Respekt vor ameri­kanischen Gerichten haben.

Die juristische Lücke wird umso offenbarer, wenn man betrachtet, wie das System VW versagt hat – obgleich das Land beteiligt ist und Gewerkschaften bei dem Autobauer großen Einfluss genießen. Im rheinischen Kapitalismus, so scheint es, hakt keine Krähe der anderen ein Auge aus. Auf den ersten Blick mag es so aussehen, als ob das Land Niedersachsen und die Gewerkschaften machtlos gegen die Mehrheit der Familienclans wären. Das stimmt nur für die Hauptversammlung. Die wichtigsten Entscheidungen fallen aber im Aufsichtsrat, und dort genießen die Arbeitnehmer­vertreter zusammen mit dem Land eine komfortable Mehrheit.

Fehlentscheidung nach Fehlentscheidung haben sie mitgetragen.

Zum Beispiel die Personalie Pötsch. Arbeitnehmervertreter und Land folgten dem Vorschlag der Familien, die ihren Vertrauten zum Aufsichtsratschef machen wollten. Viel zu gefährlich für den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Piëch, wenn eine starke unabhängige Person das Ruder übernehmen würde.

Auch die 63,2 Millionen Euro Boni für die Vorstände gehen auf das Konto der Gewerkschaften und des Landes, denn auch diese Entscheidung bedarf einer Mehrheit im Aufsichtsrat. Die Boni mögen formal rechtens gewesen sein, moralisch waren sie unvertretbar. Jeder Eigentümer würde seine Vorstände entlassen, wenn die in der größten Krise der Unternehmensgeschichte auf formalen Rechten bestehen und nicht bereit sind, die katastrophale Symbolik ihres Handelns zu verstehen.

Vorstände und Eigentümer großer Unternehmen schaffen es immer wieder, industriefreundliche Politiker und industrie­freundliche Gewerkschaften zu einer unheiligen Allianz zu vereinen. Egal ob bei der Erb­schaftsteuer oder dem Unternehmensstrafrecht: Immer sind angeblich Arbeitsplätze in großen Stil gefährdet, sobald harte Regeln im Raum stehen. Ein Märchen. Selbst, wenn im schlimmsten Fall die Strafen wirklich so hoch wären, dass VW Konkurs anmelden müsste – was niemand will – wäre das nicht das Ende des Unternehmens.

Bei einem Konkurs würde sich sofort ein Investor finden, der VW fortführt. Die Autos aus Wolfsburg finden guten Absatz, die Fabriken sind in bestem Zustand und viele Milliarden wert. Die Marken, die Patente, das Know-how der Facharbeiter noch viel mehr. Kein Arbei­ter würde arbeitslos. Die einzigen, die arbeitslos würden, wären die Vorstände und Aufsichtsräte. Und die heutigen Aktionäre würden ihre Anteile verlieren. Dazu freilich müsste es nicht kommen – denn es ginge um harte, aber verhältnismäßige Sanktionen.

Wenn Bankraub mit einem Knöllchen in Höhe von 15 Euro bestraft würde, wäre er wahrscheinlich genauso verbreitet wie Falschparken. Es ist daher nicht verwunderlich, dass es bei Unternehmen immer wieder große Skandale gibt. Strafen sollten bei gravierenden Betrügereien ein Viel­faches des Konzerngewinns betragen. Wer 15 Milliarden Euro Gewinn macht wie VW und absichtlich die Gesundheit der Bevölkerung aufs Spiel setzt, muss auch mit zig Milliarden Euro Strafen rechnen. Es ist ein Skandal, dass VW in den USA 9 Milliarden Euro Strafe für eine halbe Million manipulierte Autos zahlen muss, und für die über zehn Millionen gesetzeswidrigen Fahrzeuge in Europa mit einem blauen Auge davonkommen wird.

Das Beispiel VW zeigt auch, dass eine Bestrafung des Unternehmens allein nicht ausreicht. VW ist einer der größten organisierten mutmaßlichen Betrugsfälle, die wir in Deutschland je erlebt haben. Dass die alte Führungsmannschaft dennoch im Amt bleibt ist so, als würde die Polizei einen Verdächtigen zum leitenden Kommissar bei der Aufklärung einer Straftat bestellen. Auch das sollte der Gesetzgeber regeln: Betrügereien sollten von unbelasteten Managern und Aufsichtsräten aufgeklärt werden. Das Argument von VW, Manager von außen wären nicht in der Lage das Unternehmen zu verstehen, ist hanebüchen. Auch Siemens hat vor zehn Jahren einen großen Skandal erlebt. Siemens geht es deswegen heute wieder so gut, weil hier sowohl im Aufsichtsrat wie im Vorstand die Verantwortlichen radikal ausgetauscht wurden.

Der Staat muss zudem verhindern, dass Aktionäre und Management die Unternehmensstrafe auf dem Rücken der Arbeitnehmer austragen und so tun, als hätten sie selbst mit den Vergehen nichts zu tun. Die Strafen müssen daher mit einem Verbot von Boni und Dividenden einhergehen. Wenn die Strafe ein Vielfaches des Gewinns beträgt, dann sollen auch für entsprechend viele Jahre weder Manager noch Aktionäre in die Kasse des Unternehmens greifen dürfen. Nur so ist gewährleistet, dass das Unter­neh­men die finanziellen Mittel für das hohe Bußgeld hat und nicht Investitionen kürzen oder Mitarbeiter ent­las­sen muss.

Für unsere Gesellschaft ist es bedenklich, wenn Menschen mit Vorbildfunktion nicht mehr wissen, was Anstand ist. Es wäre besser, wenn der Staat nicht eingreifen müsste. VW zeigt aber, dass es ohne klare gesetzliche Vorgaben nicht funktioniert. Mit einem intelligenten Unternehmensstrafrecht wäre uns die Tragödie von Wolfsburg erspart geblieben.

 


 

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